Die Gelehrten der Scheibenwelt
Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin Schnapper, der bewies, daß die Scheibenwelt rund sei (und sogar ihren Umfang schätzte). Rattamspiesthenes bemerkte, daß sich in den Spitzhornbergen mittags die Sonne im Zenit befand, während sie in Lancre, rund 1000 Meilen entfernt, um 84° von der Senkrechten abwich. Da 84° grob ein Viertel von 360° ist, schloß Rattamspiesthenes, daß die Scheibenwelt rund sei und die Entfernung von den Spitzhornbergen nach Ankh-Morpork ein Viertel des Umfangs betrage. Damit liegt der Umfang dieser kugelförmigen Scheibenwelt bei 4000 Meilen. Zum Pech für diese Theorie war aus anderen Gründen bekannt, daß die Scheibenwelt von Rand zu Rand etwa 10 000 Meilen mißt. Aber man darf sich eine gute Theorie nicht von einer sperrigen Tatsache verderben lassen, und bis ans Grab glaubte Rattamspiesthenes, die Welt sei eben doch ein Dorf.
Sein Fehler bestand darin, daß er durchaus richtige Beobachtungsdaten in den Begriffen einer fehlerhaften Theorie interpretierte. Wissenschaftler kommen immer wieder auf anerkannte Theorien zurück, um sie auf neue Weise auf die Probe zu stellen, und neigen zu gereizten Beziehungen mit jenen Priestern, seien sie nun religiös oder weltlich, die die Antworten schon kennen – egal, wie die Frage lautet. Bei der Wissenschaft geht es nicht darum, ein Gebäude von bekannten ›Tatsachen‹ zu errichten. Sie ist eine Methode, sperrige Fragen zu stellen und sie der Überprüfung durch die Wirklichkeit zu unterziehen, damit die menschliche Neigung vermieden wird, alles zu glauben, was uns ein gutes Gefühl gibt.
Seit frühsten Zeiten haben sich Menschen nicht nur für die Gestalt der Welt interessiert, sondern auch für die Gestalt des Weltalls. Zunächst glaubten sie wahrscheinlich, das sei ein und dieselbe Frage. Dann fanden sie mit ungefähr derselben Art Geometrie wie Eratosthenes heraus, daß jene Lichter am Himmel sehr weit entfernt sind. Sie kamen auf eine erstaunliche Vielfalt von Mythen über den Feuerwagen des Sonnengottes und so weiter, doch nachdem die Babylonier auf den Gedanken gekommen waren, genaue Messungen durchzuführen, führten ihre Theorien allmählich zu überraschend guten Vorhersagen von Dingen wie Sonnen- und Mondfinsternissen und der Planetenbewegung. Zur Zeit von Ptolemäus (Claudius Ptolemäus, 100–160) enthielt das beste Modell für die Planetenbewegung eine Reihe von ›Epizykeln‹ – die Planeten bewegten sich wie auf runden Kreisbahnen, deren Zentrum sich auf einem anderen Kreis bewegte, dessen Zentrum …
Isaac Newton ersetzte diese Theorie und ihre genaueren Nachfolger durch eine Regel, das Gravitationsgesetz; es beschreibt, wie jeder Körper im Universum jeden anderen Körper anzieht. Es erklärte Johannes Keplers Entdeckung, daß die Umlaufbahnen der Planeten Ellipsen sind, und auf lange Sicht erklärte es noch eine Menge anderer Dinge.
Nach etlichen Jahrhunderten verblüffender Erfolge lieferte Newtons Theorie ihren ersten großen Fehler: Sie traf unzutreffende Vorhersagen über die Umlaufbahn des Merkur. Die Stelle der Umlaufbahn, wo Merkur der Sonne am nächsten kommt, bewegte sich nicht ganz so, wie Newtons Gesetz es vorhersagte. Einstein eilte mit einer Theorie zu Hilfe, die sich nicht auf Anziehungskräfte stützte, sondern auf Geometrie – auf die Gestalt der Raumzeit. Das war die gefeierte Relativitätstheorie. Die Theorie war in zwei Ausfertigungen erhältlich: als Spezielle und Allgemeine Relativitätstheorie. Die Spezielle Relativitätstheorie behandelt die Struktur von Raum, Zeit und Elektromagnetismus; die Allgemeine Relativitätstheorie beschreibt, was passiert, wenn man auch noch die Schwerkraft ins Spiel bringt.
Es ist ganz wichtig, sich zu vergegenwärtigen, daß ›Relativität‹ eine dumme Bezeichnung ist. Der Kernpunkt der Speziellen Relativitätstheorie ist nicht darin zu sehen, daß ›alles relativ‹ ist, sondern daß etwas Bestimmtes – die Lichtgeschwindigkeit – unerwarteterweise absolut ist. Das Gedankenexperiment ist weithin bekannt. Wenn man mit 80 km/h in einem Auto fährt und nach vorn ein Gewehr abfeuert, so daß sich die Kugel mit 800 km/h relativ zum Wagen bewegt, dann addieren sich die beiden Teilgeschwindigkeiten, und die Kugel trifft mit 880 km/h auf ein feststehendes Ziel auf. Wenn man aber, statt das Gewehr abzufeuern, eine Taschenlampe einschaltet, die Licht mit einer Geschwindigkeit von 300 000 km/s ›abschießt‹, dann trifft dieses Licht auf dem feststehenden Ziel nicht mit
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