Die Gelehrten der Scheibenwelt
und baucht sich am Äquator leicht aus. Zwei weitere Kräfte wirken auf sie ein: die Gravitation der Erde und die des Mondes. Die Gestalt, die das Wasser unter dem Einfluß dieser Kräfte annimmt, hängt von der Tatsache ab, daß es eine Flüssigkeit ist. Unter normalen Bedingungen ist die Oberfläche einer ruhenden Wassermasse horizontal, denn sonst würde das Wasser von den höheren Stellen seitwärts zu den niedrigeren laufen. Dasselbe geschieht, wenn zusätzliche Kräfte am Werk sind: Die Oberfläche des Wassers richtet sich senkrecht zur Richtung der resultierenden Gesamtkraft aus.
Wenn man die Einzelheiten für die drei eben erwähnten Kräfte ermittelt, stellt man fest, daß das Wasser ein Ellipsoid bildet, eine Form, die einer Kugel ähnelt, aber ganz schwach gestreckt ist. Die Streckrichtung zeigt zum Mond. Der Mittelpunkt des Ellipsoids fällt aber mit dem Mittelpunkt der Erde zusammen, so daß sich das Wasser auf der vom Mond abgewandten Seite ebenso ›auftürmt‹ wie auf der ihm zugewandten. Diese Formänderung wird nur teilweise dadurch hervorgerufen, daß die Schwerkraft des Mondes das ihm nächstgelegene Wasser ›anhebt‹. Der größte Teil der Bewegung erfolgt nämlich eher seitwärts als aufwärts. Die seitlichen Kräfte drücken mehr Wasser in gewisse Bereiche des Ozeans und ziehen sie aus anderen ab. Die Gesamtwirkung ist winzig – die Oberfläche des Meeres hebt und senkt sich in einem Bereich von einem halben Meter.
Es ist die Küste, wo sich Land und Meer begegnen, die die großen Gezeitenbewegungen hervorbringt. Der größte Teil des Wassers bewegt sich seitwärts (nicht aufwärts), und seine Bewegung wird von der Gestalt der Küstenlinie beeinflußt. An manchen Stellen fließt das Wasser in einen engen Trichter, und dann steigt es wesentlich höher als anderswo. Ebendas geschieht in der Fundy-Bucht. Der Effekt wird noch verstärkt, da Küstengewässer flach sind, so daß die Energie des sich bewegenden Wassers auf eine dünne Schicht konzentriert wird und größere und schnellere Bewegungen erzeugt.
Bringen wir nun die Sonne wieder ins Spiel. Das hat dieselbe Wirkung wie beim Mond, nur geringer. Wenn Sonne und Mond in einer Linie mit der Erde stehen – entweder beide auf derselben Seite der Erde, so daß wir einen Neumond sehen, oder auf verschiedenen Seiten (Vollmond) –, verstärken sich ihre Gravitationskräfte und führen zu sogenannten ›Springfluten‹, bei denen das Hochwasser höher als normal und das Niedrigwasser niedriger ist. Wenn Sonne und Mond von der Erde aus gesehen im rechten Winkel zueinander stehen, bei Halbmond, hebt die Anziehungskraft der Sonne die des Mondes teilweise auf, und es kommt zu sogenannten ›Nippfluten‹.
Indem man alle diese Effekte zusammenfaßt und gute Aufzeichnungen über vergangene Gezeiten führt, kann man die Zeitpunkte von Ebbe und Flut und die Ausmaße der senkrechten Bewegung an jedem Ort der Erde vorhersagen.
Es gibt ähnliche Gezeitenwirkungen (große) auf die Erdatmosphäre und (kleine) auf die Landmassen des Planeten. Gezeitenwirkungen kommen auf anderen Himmelskörpern im Sonnensystem und außerhalb vor. Man ist der Ansicht, daß der Jupitermond Io, dessen Oberfläche größtenteils aus Schwefel besteht und der zahlreiche aktive Vulkane besitzt, dadurch aufgeheizt wird, daß ihn die vom Jupiter ausgehende Gezeitenwirkung immer wieder ›quetscht‹.
Eine andere Wirkung des Mondes auf die Erde, die Mitte der neunziger Jahre von Jacques Laskar entdeckt wurde, besteht darin, die Erdachse zu stabilisieren. Die Erde dreht sich wie ein Kreisel, und zu jedem gegebenen Zeitpunkt gibt es eine Gerade durch den Erdmittelpunkt, um die alles andere kreist. Das ist die Achse. Die Erdachse ist gegenüber der Ebene der Erdumlaufbahn um die Sonne geneigt, und diese Neigung ruft die Jahreszeiten hervor. Manchmal ist der Nordpol der Sonne näher als der Südpol, und sechs Monate später ist es umgekehrt. Wenn das nördliche Ende der Achse zur Sonne hin geneigt ist, fällt mehr Sonnenlicht auf die nördliche Hälfte des Planeten als auf die südliche, also ist im Norden Sommer und im Süden Winter. Sechs Monate später, wenn die Achse in bezug auf die Sonne anders ausgerichtet ist, ist es umgekehrt.
Über lange Zeiträume hinweg ändert die Achse ihre Richtung. So wie ein Kreisel trudelt, während er sich dreht, tut es auch die Erde, und in 26 000 Jahren trudelt die Achse einmal im Kreis herum. Die Achse ist aber jederzeit im selben Winkel
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