Die Gelehrten der Scheibenwelt
(23°) gegen die Senkrechte zur Erdumlaufbahn geneigt. Diese Bewegung wird Präzession genannt, und sie hat eine geringfügige Wirkung auf den zeitlichen Ablauf der Jahreszeiten – sie verschieben sich allmählich um ein Jahr in 26 000 Jahren. Im Großen und Ganzen harmlos. Die Achsen der anderen Planeten tun jedoch etwas weitaus Drastischeres: Sie ändern ihren Neigungswinkel gegen die Ebene der Umlaufbahn. Mars beispielsweise ändert diesen Winkel in einem Zeitraum von zehn bis zwanzig Millionen Jahren um 90°. Das hat dramatische Auswirkungen auf das Klima.
Nehmen wir an, die Achse eines Planeten steht im rechten Winkel zur Ebene seiner Umlaufbahn. Dann gibt es überhaupt keine jahreszeitlichen Schwankungen, aber überall außer an den Polen gibt es einen Tag-Nacht-Zyklus, wobei Tag und Nacht gleich lang sind. Wenn man jetzt die Achse ein wenig neigt, erscheinen Jahreszeiten, und die Tage sind im Sommer länger und im Winter kürzer. Nehmen wir nun an, die Achsenneigung beträgt 90°, so daß an einem bestimmten Punkt der Umlaufbahn der Nordpol genau zur Sonne hin zeigt. Ein halbes Jahr später zeigt der Südpol zur Sonne. An beiden Polen ist es ein halbes Jahr lang ›Tag‹ und das andere halbe Jahr hindurch ›Nacht‹. Die Jahreszeiten fallen mit dem Tag-Nacht-Zyklus zusammen. Teile des Planeten werden ein halbes Jahr lang in großer Hitze geröstet, um die andere Hälfte über zu gefrieren. Obwohl Leben unter solchen Bedingungen durchaus überleben kann, kann es wahrscheinlich schwerer entstehen und verwundbarer durch Klimaextreme, Vulkanismus und Meteoriteneinschläge sein.
Die Erdachse kann ihre Neigung über sehr lange Zeiträume – weitaus größere als der Präzessionszyklus von 26 000 Jahren – hinweg ändern, doch selbst in Hunderten von Jahrmillionen ändert sich der Winkel nicht sehr. Warum? Weil, wie Laskar bei seinen Berechnungen entdeckte, der Mond dazu beiträgt, die Erdachse stabil zu halten. Zumindest damit wird deutlich, daß das Leben auf der Erde dem beschwichtigenden Einfluß unserer Schwesterwelt eine Menge verdankt, wie sehr uns der Mond im Einzelfall auch verrückt machen mag.
Ein dritter Einfluß des Mondes wurde 1998 entdeckt: Ein deutlicher Zusammenhang zwischen den Gezeiten und der Wachstumsrate von Bäumen. Ernst Zürcher und Maria-Giulia Cantiani maßen die Durchmesser junger Fichten, die in Behältern im Dunkeln gewachsen waren. Über Zeiträume von mehreren Tage änderten sich die Umfänge im Rhythmus der Gezeiten. Die Wissenschaftler interpretieren das als eine Auswirkung der Mondgravitation auf den Wassertransport im Baum. Es können keine Änderungen im Mondlicht sein, die vielleicht die Photosynthese beeinflussen würden, da man die Bäume im Dunkeln wachsen ließ. Doch es kann ein ähnlicher Effekt wie bei Wesen sein, die am Meeresufer leben. Da sie sich an das Leben dort angepaßt haben, müssen sie auf die Gezeiten reagieren, und die Evolution erreicht das manchmal, indem sie eine innere Dynamik hervorbringt, die im Einklang mit den Gezeiten steht. Wenn man die Wesen in ein Laboratorium bringt, läßt diese innere Dynamik sie weiterhin den Gezeiten ›folgen‹.
Der Mond ist noch auf eine weitere Weise von Bedeutung gewesen. Die Babylonier und die Griechen wußten, daß der Mond eine Kugel ist; die Phasen sind offensichtlich, und es gibt auch eine leichte Taumelbewegung, durch die man nach und nach etwa mehr als die Hälfte der Mondoberfläche sieht. Da stand er am Himmel – eine große Kugel, keine Scheibe wie die Sonne, und ein Hinweis, daß ›große Kugeln im Raum‹ vielleicht eine bessere Art war, von der Erde und ihren Nachbarn zu denken, als ›Lichter am Himmel‹.
Das alles hat ziemlich wenig mit der Obergefreiten Angua zu tun, nicht einmal mit dem weiblichen Menstruationszyklus. Doch es zeigt, in welch großem Maße wir Geschöpfe des Weltalls sind. Die Dinge Da Oben haben wirklich Auswirkungen auf uns Hier Unten, jeden Tag unseres Lebens.
EINUNDZWANZIG
Das Licht, mit dem man die Dunkelheit sieht
Es gab keine Dunkelheit. Das war eine große Überraschung für Ponder Stibbons, und er forderte HEX auf, noch einmal nachzusehen. Die Dunkelheit durfte nicht fehlen. Wovor sollte sich sonst das Licht abzeichnen?
Schließlich wies er die anderen Zauberer auf den Mangel hin. »Es sollte jede Menge Dunkelheit geben, aber weit und breit ist nichts davon zu sehen«, sagte er. »Es gibt nur Licht und … kein Licht. Und außerdem ist es ein sehr seltsames
Weitere Kostenlose Bücher