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Die Geliebte des Gelatiere

Die Geliebte des Gelatiere

Titel: Die Geliebte des Gelatiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Zahno
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Ahorn-Walnuss-Parfait die Mischung aus Sirup und Eiern mit dem Schneebesen schlägt, oder wie man den Zucker in die siedende Milch einrührt, um ein aromatisches Ingwerparfait zu erhalten – voll im Geschmack und doch von eisiger Struktur. Ich eignete mir an, wie man Zitronen- und Kaffeegranitas zubereitet und sie mit frischen Minzeblättern serviert – Eisarten auf Wasserbasis, die lediglich gefroren, nicht aber gerührt werden, was die typisch harten Eiskristalle und den besonders intensiven Geschmack der Granita ergibt. Und ich lernte den Umgang mit der Sorbetiere, dem Behälter für die Sorbets, lernte, dass bei der Sorbetmischung der richtige Zuckergehalt entscheidend ist, damit das Sorbet weder zu nass und sirupartig noch zu körnig oder fade wird. Und dass auch bei den Sorbets alles von der Luft abhängt, die zugeführt wird.
    Dadurch, dass ich jetzt jeden Tag in der Gelateria arbeitete, lernte ich Pippos Stammkundschaft besser kennen. Der Kontakt mit den Leuten gefiel mir. Einige schienen nur zu kommen, um ein bisschen zu schwatzen. Es kamen auch viele Mädchen und junge Frauen. Den Shining-Blick hatte ich wieder abgelegt. Ich war freundlich, flirtete ein wenig, blieb aber unverbindlich.
    In der Freizeit ging ich häufig zum Zattere-Quai, setzte mich auf ein Bänkchen oder einen Poller und las Ufer der Verlorenen von Brodsky. Es war ein schmales Bändchen. Ich las es etwa ein Dutzend Mal. Hatte ich es zu Ende gelesen, begann ich von Neuem. Am liebsten aber schaute ich aufs Wasser und träumte ein bisschen vor mich hin. In solchen Momenten fühlte ich mich frei. Wenn sich mein Blick in den Wellen verlor, schwand auch meine Angst vor dem, was kommen mochte. Vor den acht Monaten Warten, immer im Ungewissen, ob ich für tauglich oder untauglich erklärt oder zurückgestellt würde. Ich fragte mich, ob ich mit meiner Geschichte über Colonnello Morosini alles vermasselt hatte. Aber ich kam zu keinem Schluss. Meine Gabe, Zukünftiges verschwommen vorauszusehen, zu erspüren, was geschehen würde, versagte völlig. Mein zweites Gesicht sah bloß ein schwarzes Loch. Der kleine Alvise in meinem Mund schwieg. Klar war mir nur, dass ein Jahr im Militär einer persönlichen Katastrophe gleichkommen würde.
    Nach langen Monaten des Wartens hatten Söhne von Kollegen meines Vaters Bescheid erhalten – sie mussten nach Genua, Udine und Treviso. Deshalb fragte mich mein Vater nun jeden Abend, ob ich den Brief mit dem Marschbefehl bekommen habe. Er sah mich schon als Panzergrenadier, der mit scharfen Handgranaten um sich warf, oder als Fallschirmjäger, der sanft vom Himmel glitt. Aber es war nichts eingetroffen. Alles war noch in der Schwebe. Ich war nervös und unruhig. Die Erwartungen meines Vaters lagen wie eine tonnenschwere Last auf meinen Schultern.
    Dann kam eines Tages der Anruf von Michele. Er hatte eben vom Verteidigungsministerium in Rom die Bescheinigung erhalten. Er war befreit wegen Sehschwäche – dabei sah er besser als ich. Ich gratulierte, rannte zum Briefkasten hinunter und zog neben dem Corriere della Sera und der Gazzetta dello Sport einen grauen Umschlag heraus. Er verströmte diesen Kasernengeruch, der roch, als wolle er mich an etwas erinnern, das ich nicht erlebt haben konnte und das doch ganz deutlich in mir war. Mein Herz raste, ich spürte, wie die Adern am Hals und an den Schläfen pochten. Ich konnte kaum atmen. Dann gab ich mir einen Ruck und riss den Umschlag auf. Heraus fiel kein Marschbefehl, sondern der Bescheid, dass ich untauglich und vom Militärdienst befreit sei. Ich sprang in die Luft, reckte die Faust gegen den Himmel und jubelte. Ich konnte es kaum glauben. Trotz aller Widrigkeiten hatte ich mich durchgesetzt.
    Ich rannte hinauf in die Wohnung und rief Michele an. Das Ereignis musste gefeiert werden. Dieser spektakuläre Doppelerfolg verlangte nach etwas Spektakulärem. Wir entschieden uns für die Terrasse des Hotels Gritti Palace schräg gegenüber der Kirche Santa Maria della Salute. Beide hatten wir noch nie auf dieser Terrasse gesessen. Es war ein Ort für die Superreichen, den alten venezianischen Adel und die nouveaux riches. Eine Nacht in der Suite kostete so viel, wie ich in einem Jahr in der Gelateria verdiente. Aber man hatte eine herrliche Sicht auf den Canalazzo, einen Logenplatz direkt am Wasser. Und wir hatten allen Grund, uns etwas zu gönnen. Ich bestellte Champagner und ein Vanille-Gelato, das mit exotischen Gewürzen serviert wurde, elegant verziert mit zarten

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