Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geliebte des Gelatiere

Die Geliebte des Gelatiere

Titel: Die Geliebte des Gelatiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Zahno
Vom Netzwerk:
den Atem verschlug. Meine Mutter starrte auf ihren Teller und schwieg.
    »Nichts Besonderes«, sagte ich, weil mir nichts anderes einfiel.
    »Was, nichts Besonderes? Füsilier?«
    »Keine Einheit«, sagte ich schließlich. »Die Ärzte haben mich für untauglich erklärt.«
    »Untauglich?«, wiederholte er ungläubig. Das Wort kam ihm fast nicht von der Zunge. Aus seinem Mund klang es wie ein anderes Wort für Taugenichts oder Schmarotzer.
    »Äh … ja.« Ich suchte krampfhaft nach einer Erklärung, aber an seinem entsetzten Gesicht sah ich, dass es vergebens war.
    »Untauglich? Warum?«
    »Wegen des Magens.«
    »Wegen des Magens?«
    Mein Vater schaute mich lange entgeistert an, warf mir einen vernichtenden Blick zu, fasste den Löffel, senkte den Kopf und aß wortlos seine Suppe. Schweigen lastete im Raum und schien alles zu erdrücken. Aus jeder Ritze schien es zu kriechen, es war unmöglich, irgendetwas zu sagen. Man hörte nur das Schlürfen der Suppe, die Geräusche der Löffel. Der Topf dampfte. Mein Vater schaute nicht mehr hoch. Er löffelte seine Bohnensuppe. Als er fertig war, erhob er sich und verschwand wortlos aus der Küche. Die nächsten Wochen sprach er kein Wort mehr mit mir. Ich war nicht mehr sein Sohn. Für ihn war ich gestorben.
    6
    Eines Nachmittags sah ich auf einem Vaporetto der Linie 82 eine Frau sitzen. Ich sah sie nur von hinten. Sie hatte halblange blonde Haare, trug einen blauen Rollkragenpullover und eine dunkle Sonnenbrille. Noemi!? Ich war mir nicht sicher. Keine Venezianerin würde am Bug des Schiffes sitzen, das waren die Plätze für die Touristen. Aber so lange hatte sie ja auch nicht hier gelebt.
    Da sie eine Sonnenbrille trug, konnte ich, selbst wenn ich mich schräg gegen die Reling verschob, nicht sagen, ob sie es war. Aber irgendwann würde sie aufstehen und aussteigen, und dann würde ich sie besser sehen.
    Auf dem Weg zum Canale della Giudecca kreuzten wir einen gewaltigen Passagierdampfer, der aus dem Bacino der Stazione Marittima auslief. Es war ein zwölfstöckiges Kreuzfahrtschiff, das die Stadt um ein Mehrfaches überragte. Auf dem obersten Deck standen die Passagiere dicht an dicht an der Reling und schauten auf die Stadt hinab.
    Majestätisch glitt der Dampfer an uns vorbei. Schwaden von Diesel hingen in der Luft. Dem Schiff folgten kreischende Möwen, die auf Küchenabfälle hofften. Die schäumende Kielwelle schüttelte uns kräftig durch. Bei Zattere stiegen eine Menge Leute ein, Pendler und Touristen, und im Gedränge verlor ich die Frau einen Moment lang aus den Augen. Ich ärgerte mich, schob mich ein Stück nach vorne, vertrieb ein paar unschlüssige Touristen und hatte sie wieder im Blick. Ich wusste immer noch nicht, ob es Noemi war.
    Das Vaporetto tuckerte nach Palanca zur Giudecca hinüber. Wenn sie auf der Giudecca ausstieg, würde auch ich aussteigen und ihr folgen, aber bei Palanca stiegen nur Pendler aus und jene, die in der Stadt eingekauft hatten und jetzt mit Lauch, Petersilie und Tintenfisch auf ihre Insel zurückkehrten.
    Bei der Chiesa del Redentore schien die Frau aufstehen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders und blieb sitzen. Nach Zitelle kam San Giorgio. Wenn sie jetzt ausstieg, würde sie sich Palladios Kirche ansehen, das Abendmahl Tintorettos und den Hochaltar von Campagna. Vielleicht würde sie auch mit dem hölzernen Lift hochfahren in die Glockenstube des Campanile, wo man einen überwältigenden Blick hatte. Aber sie stieg nicht aus. Dafür stiegen wieder jede Menge Touristen ein.
    Dicht gedrängt standen die Passagiere auf dem Boot, während es sich schnaufend und spritzend durch die dunkelgrüne Lagune wühlte. Der Wind kräuselte das Wasser und zerzauste das Haar der Frau. Langsam querten wir das Bacino von San Marco und tuckerten Richtung San Zaccaria. Das Rauschen der Bugwelle war zu hören, die grellen Laute der Seevögel. In der Ferne tutete die Sirene des Dampfers. Als wir uns dem Imbarcadero näherten, war eine Unruhe zu spüren, als ob alle sofort aussteigen und dem schwankenden Gefängnis entfliehen wollten. Jetzt stand die Frau auf. Aber da so viele Leute an Bord waren, gab es kein Durchkommen. Sie musste warten, bis die Touristen das Boot verlassen hatten. Als endlich Platz war, kam sie direkt auf mich zu, ging aber so schnell an mir vorbei, dass ich nicht erkennen konnte, ob es Noemi war. Ihre Art, sich zu bewegen, erinnerte mich an sie. Auch ich verließ das Vaporetto.
    Am Ufer folgte ich ihr in sicherem

Weitere Kostenlose Bücher