Die Geliebte des Gelatiere
Schlafen auf Stroh und vom nächtlichen Rauchen in einsamen Wachstuben erzählt. Er war noch aufgeregter als ich, wenn das möglich war. Ich hielt mich fest an den harten Planken, hatte eine Decke über die Knie gezogen und hörte ihm nur mit halbem Herzen zu.
Pippo hatte mich genau instruiert. Seine Berichte von pedantischen Inspektionen, von Stumpfsinn, blindem Gehorsam und Ritualen permanenter Devotion schienen mir stimmiger und deckten sich mit dem, was ich von Freunden erfahren hatte. Man werde von früh bis spät schikaniert. Zudem war im Gazzettino gerade ein Artikel über einen Fallschirmjäger erschienen, der in der Kaserne Gamarra zu Tode geschunden worden war. Auch der Fall eines Rekruten aus Padua, der auf einem Marsch an inneren Blutungen gestorben war, weil der Capitano seine Schwäche nicht ernst genommen hatte, war mir noch im Gedächtnis.
Deshalb hatte ich ein Zeugnis von meinem Hausarzt, Dottore Bellocchi, dabei, das mir ein Magengeschwür bescheinigte, das sich unter Stress bemerkbar mache, so dass er dringend vom Dienst abriet. Im Stillen ging ich immer wieder die Sätze durch, die ich zu sagen hatte – dass ich bei einer Übung weder für mich noch für andere Verantwortung übernehmen könne. Dass ich bei meinem Zustand für nichts garantieren könne. Dass es unter Druck gefährlich werden könne. Ich war nervös und fragte mich, ob man mir das abnahm. Oder ob sie eine Magenspiegelung verordneten. Wir näherten uns der Kirche von San Marcuola, gegenüber tauchte bereits die Fondaco dei Turchi auf.
Angespannt glitten wir im Boot durchs Wasser, mein Vater aufgekratzt, ich stumm. Beide fieberten wir dem Kommenden entgegen, unsere Hoffnungen ganz und gar entgegengesetzt. Mein Vater fragte voller Sorge, ob ich alles dabei habe, Aufgebot, Identitätskarte, Impfausweis. Ich glaube, er hätte sich am liebsten selbst gestellt. Es war unmöglich, ihn in meine Pläne einzuweihen.
Vom Rio di San Marcuola bogen wir in den Canal Grande ein. Es herrschte reger Verkehr. Eine Reihe von Booten und Schleppkähnen tuckerte uns entgegen, Fischkutter, Gondeln mit Gemüse, Barkassen voller Melonen. Die Melonen erinnerten mich an Charlotte, aber diese Erinnerung half jetzt nichts.
Schließlich erreichten wir die Stazione Santa Lucia. Mein Vater manövrierte das Boot in die schmale Lücke zwischen zwei gestreiften Pfählen, so dass es leicht tanzend den Steg berührte. Ich erhob mich, sprang heraus und verabschiedete mich. Er wünschte mir viel Glück, stimmte La biondina in gondoletta an und fuhr singend Richtung Cannaregio zurück. Weil ich zu früh war, schaute ich ihm noch eine Weile nach, bis er hinter der Scalzi-Brücke verschwunden war.
In der Kaserne von Treviso wurde ich von Militärärzten auf Herz und Nieren geprüft – der Körper wurde vermessen, gewogen, geröntgt. Der Blutdruck wurde kontrolliert, die Zunge betrachtet, das Gehör begutachtet, die Sehschärfe getestet. Als ich nach Krankheiten befragt wurde, händigte ich mein Zeugnis aus und sagte die Sätze, die ich auswendig gelernt hatte. Das Gremium betrachtete mich skeptisch. Ein Dutzend Augen starrten mich argwöhnisch an. Und man stellte Fragen. Wie lange ich das Geschwür schon habe. Wie es sich bemerkbar mache. Wie es behandelt werde. Kalter Schweiß rann mir über die Stirn. Ich spielte meine Rolle, so gut ich konnte. Ich wusste, dass ich ein schlechter Schauspieler war. Aber wenn ich einmal im Leben ein guter sein musste, dann jetzt.
»Sind Sie vielleicht ein Einzelkind?«, wollte plötzlich einer aus dem Gremium wissen.
»Ja«, sagte ich verwundert.
»Aha.«
Der Arzt schaute mich eine Zeit lang an. Dann nickte er seinen Kollegen zu. Die Frage und die Reaktion ärgerten mich.
»Spielt das eine Rolle?«, fragte ich.
»Die Fragen stellen wir«, wies mich der Arzt zurecht. »Sie haben nur zu sprechen, wenn Sie gefragt werden.«
Die Köpfe wurden zusammengesteckt, die Runde besprach sich, ich hörte die Doktoren tuscheln und hin und her erwägen. Man werde ein Dossier über mich anlegen, hieß es schließlich. Ob ich überzeugt hatte, ging daraus nicht hervor.
Danach hatte ich einen langen Fragebogen mit Fragen zu Ausbildung, Interessen und Zielen auszufüllen. Dabei war auch eine Geschichte zu Ende zu schreiben, die mit dem Satz »Zwei Carabinieri sind nachts auf Patrouille und hören ein seltsames Rascheln« begann. Das sollte ein psychologischer Test sein. Da ich immer gerne geschrieben hatte, fand ich zumindest an dieser Aufgabe
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