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Die Geliebte des Gelatiere

Die Geliebte des Gelatiere

Titel: Die Geliebte des Gelatiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Zahno
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Abstand. Sie ging nicht mit der Masse Richtung San Marco, sondern die Riva degli Schiavoni entlang zum Arsenale. Plötzlich tauchte sie nach links in eine Gasse ein.
    Ich verfluchte mich, dass ich sie auf dem Vaporetto nicht angesprochen hatte. Alles wäre viel einfacher gewesen. Hier im Gewirr der Gassen konnte sie leicht entschwinden. Aber ich hatte sie noch immer im Blick. Ich sah, wie sie in einem Schaufenster etwas betrachtete, und so schaute auch ich mir ein kleines Stück hinter ihr die Auslage eines Maskenladens an.
    Dann bog sie um die Ecke und verschwand aus meinem Gesichtsfeld. Ich rannte zu dem kleinen Campo, wo sie abgebogen war. Aber ich konnte sie nicht mehr entdecken. Wie ein Wahnsinniger durchkämmte ich alle Gassen in der Nähe, aber die Frau blieb verschwunden. Ob sie hier in der Nähe wohnte? Oder ob sie in ein Geschäft getreten war, ohne dass ich es bemerkt hatte? Ich warf einen Blick in die nahen Läden, konnte sie aber nicht entdecken. Sie war wie vom Erdboden verschluckt. Ich hatte alles falsch gemacht. Noch einmal drehte ich eine Runde durch die umliegenden Gassen, aber die Frau tauchte nicht mehr auf.
    Ich ging zur Riva degli Schiavoni zurück und sah sie plötzlich an einem Eisstand. Ich folgte ihr und versuchte aus der Art, wie sie das Eis aß, Schlüsse zu ziehen. Sie leckte es langsam wie Noemi. Aber sie hatte ein Pistazieneis gewählt, nicht Vanille. Auch jetzt war ich nicht in der Lage, sie einfach einzuholen und anzusprechen.
    Die Riva dei Sette Martiri entlang ging ich bis zu den Giardini hinter ihr her. Dort öffnete sie ihre Handtasche, kramte ein Ticket hervor und betrat das weitläufige Gelände der Biennale. Ich hatte keine Karte für die Ausstellung, an der Kasse war eine lange Schlange, ich musste mich erst anstellen, bis ich zu einem Ticket kam. Als ich endlich eins hatte, war sie weg.
    Ich betrat das Ausstellungsgelände, sah mich um, ging zunächst zum italienischen Pavillon, konnte sie aber nirgends ausfindig machen. Der Reihe nach klapperte ich alle Pavillons ab, die Basilika der Ungarn, die Holzbaracke der Finnen, den Lusttempel der Franzosen, das Landhaus der Briten und den Backsteinbau der Schweizer – vergebens. Ich hielt die Augen offen, suchte im Schatten der Platanenallee und im Restaurant nach ihr – ohne Resultat. Vor der Skulptur eines Kleinkinds, das einen Frosch fraß, sprach mich jemand an.
    »Sie sehen aus, als könnten Sie einen Kaffee vertragen.«
    Eine elegante Dame mit einem asiatischen Reisstrohhut und einem Audrey-Hepburn-Pillendöschen warf mir einen fordernden Blick zu. Wahrscheinlich eine Galeristin, die von weit her angereist war.
    »Hätten Sie nicht Lust auf einen Espresso im Café hier?«
    Ich war überrumpelt, stand einen Moment lang mit offenem Mund da. Dann fasste ich mich, entschuldigte mich, wandte mich um und ging auf dem schnellsten Weg zum Ausgang. Ich nahm das nächste Boot Richtung Cannaregio. Noemi – oder war sie es doch nicht gewesen? – war mir entwischt. Aber wie es der Zufall wollte, war Michele auf dem Boot.
    »Stell dir vor«, sagte er völlig aufgelöst, »die Zwillinge studieren Altphilologie.«
    »Na und?«, sagte ich. Ich dachte an Noemi.
    »Ich möchte nächstes Semester auch mit Altphilologie beginnen. Es ist ein kleines Seminar. Wir werden uns ständig begegnen.«
    Er machte ein Gesicht, als ob er noch immer nicht darüber hinweg wäre, dass es mit Elisabetta nicht geklappt hatte.
    »Dann studier halt was anderes«, sagte ich gereizt. »Studier doch Pharmazie.« Ich hatte einfach irgendetwas gesagt, um Ruhe zu haben.
    Michele zuckte zusammen.
    »Pharmazie?«
    Seine Miene hellte sich auf – als wäre ihm plötzlich etwas klar geworden. Er schüttelte immer wieder den Kopf. Schließlich lachte er sein breitestes Lachen.
    »Fantastisch!«, rief er und klopfte mir auf die Schultern. »Das ist es! Pharmazie! Mensch, Alvise! Du bist der Einzige, der mich versteht!«
    7
    Die Universität war nach den Foscari benannt. Sie hatten Venedig einst regiert. Eine alte Dynastie, eine mächtige Adelsfamilie. Aus ihr gingen Dogen hervor, die Brescia, Bergamo und Ravenna erobert, den Einfluss der Stadt bis zum Isonzo erweitert und Lord Byron zu einer Tragödie inspiriert hatten. Palladio baute ihnen an der Brenta die Villa »La Malcontenta«.
    Hatten meine Eltern erwartet, ich würde etwas Gescheites studieren – was in ihren Augen nur Recht, Wirtschaft oder Medizin sein konnte –, musste ich sie enttäuschen. Diese Fächer reizten

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