Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
Niemand darf sich ungestraft einer verbotenen
Frau nähern, geschweige denn, sie anfassen, ohne meine ausdrückliche
Erlaubnis, die Ihr zu keiner Zeit hattet. Ich habe Euch an meinem Tisch
willkommen geheißen und so dankt Ihr es mir! Das kann ich nicht dulden
und daher verfüge ich, dass Ihr morgen nach Sonnenaufgang vor dem Thronsaal
hingerichtet werdet.“
Die Frauen im Hintergrund hatten die Luft
angehalten und von den Männern war ein zufriedenes Raunen zu hören.
„Weiter verfüge ich, dass der Körper der verbotenen
Frau in den frühen Morgenstunden vor aller Augen verbrannt wird. Ihr Körper
soll nicht die heiligen Hallen meiner verstorbenen Ahnen beschmutzen, und jede
Frau, die des Ehebruchs entlarvt wird, wird bei lebendigem Leibe dem Feuer
übergeben.“
Raunen ging durch die Reihen der Frauen. Sie
hatten Shenzong noch nie so verbittert gesehen.
In der Nacht vor seiner Hinrichtung lag Bao lange
wach. Der Vollmond stand hell am Himmel und schien just in diesem Moment in
seine Zelle. Lächelnd musste er an das Mondfest denken, an dem er Min-Tao das
erste Mal gesehen hatte. Es war schon ewig her und doch kam es ihm vor, als sei
es erst gestern gewesen. Noch in dieser Nacht fasste er einen Entschluss.
Am nächsten Morgen ging ein stolzer Bao Sen-Ho aufrecht
vor den Wachen her und stellte sich an den Platz, an dem er in wenigen
Augenblicken sein Leben lassen würde. Seine Hände waren gefesselt und man
stellte ihn mit dem Gesicht Richtung Palasthof, so dass er auf all die Menschen
blicken konnte, die seiner Hinrichtung beiwohnen mussten. Shenzong wollte ein
Exempel statuieren und so war der Platz brechend voll.
In einiger Entfernung war ein Scheiterhaufen aufgebaut.
Ein in Leinen eingenähter Körper lag steif oben auf. Jemand hatte unbemerkt
Blumen zwischen die Hölzer gelegt, die die Wachen verächtlich heraus rupften.
Der Kaiser war aus dem Thronsaal getreten und
hatte Platz genommen. Die Minister hatten sich hinter ihm versammelt, während
die Frauen dem Geschehen fernblieben.
Wang Anshi war ebenfalls nicht unter ihnen; er war
vom Palast verbannt worden und befand sich bereits auf dem Heimweg in sein
Anwesen, das er schon viele Jahre nicht mehr betreten hatte.
Bao sah sich um und stellte fest, dass alles
Ähnlichkeit hatte mit dem Abzug der Truppen, damals, als er sie gen Westen
geführt hatte, um dem Kaiser ein vereintes China zu ermöglichen. Dieser Traum
war nun erst einmal in weite Ferne gerückt.
An den seitlichen Gebäuden glaubte er eine Frau
mit einem Säugling zu erblicken, die ihn – wie alle anderen auch – anstarrte.
Doch sie hob das Kind an und hielt es in seine Richtung. Er verstand die Geste
nicht gleich, doch als die Frau sich verbeugte, sich dann umdrehte und im
Inneren des Nebengebäudes verschwand, glaubte er, einen einzigen und letzten
Blick auf seinen Sohn geworfen zu haben.
Genau in dem Moment, da die Frau aus seinem Blickfeld
verschwand, gab Shenzong den Befehl, das Feuer des Scheiterhaufens zu
entzünden. Es war Hochsommer und das Holz trocken. Die Flammen waren gefräßig
und bald brannte der Berg lichterloh. Als die Knochen zu brennen begannen,
färbte sich der Rauch dunkel und ein beißender süßlicher Geruch hing den
Zuschauern in der Nase.
Bao richtete den Blick bewusst nicht auf das
Feuer, sondern starrte an einen fiktiven Punkt am Horizont. Neben sich fühlte
er die Anwesenheit des Mannes, der ihn köpfen sollte. Das Schwert dazu hielt
dieser bereits in der Hand. Mit Sicherheit hatte der arme Kerl nicht mit dem
gerechnet, was nun geschah:
Bao stieß einen Schrei aus, machte eine schnelle
und wendige Bewegung, und ehe der Mann begriff, was passiert war, musste er
auch schon mit ansehen, wie Bao das Schwert hochwarf, mit der Klinge nach unten
wieder auffing, sie sich selbst in die Brust rammte und mit einem unglaublich
starken Zug senkrecht nach oben bis zum Hals riss.
Als die Wachen aus ihrem Schock erwachten und auf
ihn zugestürmt kamen, hatte Bao sein Werk schon vollendet, drehte sich um,
starrte den Kaiser an und fiel dann lächelnd in sich zusammen. Shenzong würde
diesen Anblick nie wieder vergessen, das wusste er.
Bao aber hatte nicht etwa Shenzong angesehen; den
Blick hielt er in die Ferne gerichtet, ins Nichts. Doch mit jedem Zentimeter
der Aufwärtsbewegung des Schwertes, die ihn mehr und mehr teilte, war das Bild,
das er sah, deutlicher geworden: Hinter dem Thron tat sich ein Horizont auf,
der in hellem, gelbem Licht erstrahlte.
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