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Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)

Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)

Titel: Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Pilastro
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neben seinem Pferd herlief. Als die Soldaten nach
und nach ihren Anführer erkannten, ging ein Johlen durch das Lager, das auch
dem Letzten bewusst machte, wer gerade heimkehrte. Doch kaum sahen sie das
Bündel auf dem Rücken des Pferdes, verstummten alle, bildeten eine Gasse und
ließen den Mann, den so viele verehrten, mit gesenkten Blick an sich
vorbeiziehen.
    „Wieso geht er?“, fragte der Kriegsminister.
    Wang Anshi kniff die Augen zusammen, um schärfer
sehen zu können. „Das Pferd trägt einen Sack.“
    „Das ist kein Sack. Das ist ein Mensch.“ Der Kriegsminister
sah ihn skeptisch von der Seite an. „Ich hoffe, es ist nicht das, wonach wir
suchen.“
    Das hoffte er auch, behielt diesen Gedanken aber
lieber für sich. Er wollte schon auf Bao zueilen, doch etwas an dessen
Körperhaltung ließ ihn stehenbleiben.
    Der Heerführer kam vor ihnen beiden zum Stehen und
hob den leblosen, verschleierten Körper vom Pferd.
    Der Kriegsminister trat nach vorne und richtete
seine Worte an Bao. Doch der schien kaum etwas wahrzunehmen. Die
Anschuldigungen störten ihn offenbar kein bisschen. Stattdessen brachte er
diesen Frauenkörper in sein Zelt. Als der Kriegsminister nach der Frau griff,
hielt Bao dessen Arm umklammernd fest. „Ihr werdet sie nicht anfassen.
Bei allem, was mir geblieben ist, werde ich Euch töten, wenn Ihr sie auch nur
berührt!“
    Der Kriegsminister machte daraufhin eine Handbewegung
und Angehörige der kaiserlichen Wache kamen herein, packten Bao und hielten ihn
fest. Er selbst nahm den Umhang und legte das schöne und saubere Gesicht einer
Toten frei.
    Wang Anshi atmete erleichtert aus.
    Es war nicht Min-Tao.
    Zumindest sah sie nicht so aus.
    Doch der Kriegsminister war noch immer skeptisch.
Er wandte sich an die Ärzte. „Ist das die Frau, die man Euch gebracht und die
am Feuer des Bao Sen-Ho gelebt hat?“
    Die Ärzte betrachteten den Körper eingehend und
ihre Antwort dauerte für Wang Anshis Begriffe einen Augenblick zu lange.
    „Wir können es nicht mit Sicherheit sagen“,
erklärten sie schließlich. „Als die Frau zu uns kam, war sie übersät von blauen
Flecken und eitrigen Wunden. Wir müssten sie genauer untersuchen, um zu einem
abschließenden Urteil zu kommen.“
    Der Kriegsminister, der keine weiteren Verzögerungen
dulden wollte, winkte ab. „Es kann nicht so schwer sein, eine Frau zu
identifizieren, die wochenlang von Euren Händen gepflegt wurde. Ist sie es,
oder ist sie es nicht?! Ein Urteil. Jetzt!“
    Die Ärzte sahen sich an und nickten schließlich.
    „Vom Gesicht her könnte sie es sein“, erklärte der
oberste der Ärzte. „Es wäre auch sehr ungewöhnlich, wenn zwei Frauen die
gleichen Verletzungen an Händen und Füßen hätten.“ Er zeigte auf die fehlenden
Zehen und die offenbar frisch amputierte Großzehe.
    Dem Kriegsminister genügte diese Aussage. Er
setzte zu einer weiteren Ansprache an, informierte Wang Anshi, dass er durch
Zeugen bestätigt in der Frau nicht des Kaisers Nebenfrau erkennen könne
und dass er – der Kanzler – damit frei von jeglicher Schuld sei. Kaum dass er
das verkündet hatte, schickte er Wang Anshi samt Bao nach Qin zurück, während
er selbst die Führung über das Heer übernahm.
    „Der Kaiser wünscht Eure Anwesenheit“, sagte er
als einzige Erklärung.
    „Aber die Vorwürfe sind entkräftet“, widersprach
Wang Anshi empört. „Ich bin immerhin der Kanzler. Ihr könnt mich nicht einfach
so herumkommandieren.“
    „Es geschehe so, wie Kaiser Shenzong es wünscht“,
befahl der Kriegsminister noch einmal deutlich. „Nehmt Euren Heerführer und
macht Euch noch heute auf den Weg.“
     
    ***
     
    Als ich kurzzeitig aus meiner Ohnmacht erwacht
war, glaubte ich, Bao zu erkennen. Er hatte gesagt, ich dürfe nicht sterben und
dass er mich zu den Ärzten bringen würde. Aber die Schmerzen waren
unermesslich. Dass meine Füße kein Teil meines Körpers waren, hatte ich bereits
einmal erleben müssen; doch diesmal schien es, als wäre ich komplett von meinem
Selbst getrennt; als wäre ich nirgends und doch überall. Die einzige
Möglichkeit, die mein geschundener Körper sah, war die Flucht in die Ohnmacht.
Hin und wieder kam ich zu mir und meinte, Ketùn über mich gebeugt zu erkennen.
Doch mein Gefühl von Zeit und Ort ließ mich im Stich und kehrte auch so schnell
nicht wieder. Ab und an flößte mir Bao – oder war es doch Ketùn? – eine
Flüssigkeit ein, die mich müde werden ließ. Ich war Teil einer Einheit, die
mich

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