Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
Man nennt mich mittlerweile nur noch Bao.“
Wang Anshi nickte. „Man mag Euch kaum mehr wieder
erkennen. Aber Ihr seht Eurem Vater immer ähnlicher. – Er starb viel zu früh.
Der Kaiser hat seither keinen besseren Vizekanzler mehr gehabt.“
„Wie ich höre, seid Ihr nun die rechte Hand des Kaisers.
Was führt Euch zu mir?“
Wang Anshi lachte und verfiel automatisch in eine
vertrautere Anrede. „Du vergeudest keine Zeit! Das gefällt mir.“ Wang Anshi
leerte seine Tasse und Bao schickte sich an, nachzugießen. „Du bist ein
Kämpfer. Und ein sehr guter, wie ich gehört habe!“
„Ich lerne jeden Tag dazu.“
„Ja, es war noch nie deine Art, zu prahlen.“
Der Kanzler betrachtete den jungen Mann. Sen-Ho –
Bao, verbesserte er sich im Geiste – war ein durchtrainierter Mann im Alter des
Kaisers. Seit jüngster Kindheit hatte er sein Leben der Kampfkunst gewidmet und
man hatte bald den Eindruck, er habe sie bereits mit der Muttermilch
aufgenommen.
Wang Anshi hatte aus der Ferne den Werdegang des
Jungen mitverfolgt und miterlebt, wie dessen Vater von Stolz und Bewunderung
für die Leistungen seines Sohnes erfüllt gewesen war. Bao hatte eine Prüfung
nach der anderen erfolgreich bestanden und es gab in der heutigen Zeit kaum
jemanden, der ihm ebenbürtig war. Hinzu kam, dass Bao die Schönheit seiner
Mutter und die Intelligenz sowie die Offenheit seines Vaters geerbt hatte.
Trotz dieser vielen Vorzüge hatte er überhaupt nichts Überhebliches an sich.
Wang Anshi war sich sicher, der junge Mann wusste nicht einmal, was das war. Im
Gegenteil; er wirkte auf ihn eher bescheiden. Jetzt saß er vor ihm und sah ihm
erwartungsvoll in die Augen. Dieser Blick! Man wollte nicht glauben, dass er so
jung war. Baos Augen sprachen von einem Alter, das sein Körper noch lange nicht
erreicht hatte.
„Was weißt du über deinen Vater?“, fragte er
schließlich.
Bao war überrascht. „Nun, was meint Ihr? Wo soll
ich beginnen?“ Er dachte ein wenig nach. „Er bestand als Achtundzwanzigjähriger
die kaiserliche Prüfung.“
„Nein, das meine ich nicht.“ Der Kanzler winkte
ab. „Was weißt du über seine Lebenseinstellung?“
„Er war neutral und gerecht! Und er war unbestechlich.“
Ein Lächeln huschte über Baos Gesicht. „Mein Onkel ist heute noch verstimmt
darüber, dass er ihn vor Gericht einem gewöhnlichen Bauern gleich gestellt
hatte.“
Wang Anshi lachte. „Das kann ich mir vorstellen.
Keiner deiner Verwandten hat es mehr gewagt, gegen das Gesetz zu verstoßen!
Unbestechlich. Das war er!“ Er fuhr fort. „Was weißt du über sein Wirken als
Vizekanzler?“
„So gut wie nichts; nur, dass er zahlreiche
Reformen angestoßen hatte. Wie Ihr wisst, habe ich mich zu dieser Zeit im Hause
von Hang Shon-Gu aufgehalten.“
„Ja, das habe ich gehört.“ Der junge Mann hatte,
soweit Wang Anshi informiert war, bei den besten Meistern die hohe Kunst des
Kampfes erlernt. Und wenn nur die Hälfte von dem stimmte, was man sich über ihn
sagte, so war er der talentierteste Kämpfer dieser Zeit und der, von dem man
sich am meisten versprach. Ob er sich dessen bewusst war?
Der Kanzler konnte nur raten, ob Bao wirklich nicht wusste, was er mit ihm vorhatte, als dieser erneut eine Frage an ihn
richtete:
„Aber was erwartet Ihr von mir? Ich interessiere
mich nicht besonders für die Politik.“
„Das glaube ich nicht. Ein Kämpfer ist immer auch
ein Politiker! Aber du hast Recht. Ich bin nicht gekommen, um dich in die
Politik zu holen. Ich bitte dich aber an den Kaiserlichen Hof.“
„Was soll dort meine Aufgabe sein?“
„Der Kaiser will das vereinte China stärken und
unterdrückte Regionen unter seine Herrschaft bringen“, erklärte der Kanzler.
„Allerdings ist sein Heer im gegenwärtigen Zustand eher eine Belastung als eine
Hilfe bei diesen Plänen.“
Bao schwieg und der alte Mann fuhr fort mit seinem
Angebot.
„Ich bitte dich, das Heer zu trainieren. Du
bekommst Rechte, die Truppen in deinem Sinne zu reformieren und bist Berater
der drei kaiserlichen Marschalle.“
Bao sah Wang Anshi scharf an.
„Man kann einen Ölfleck nicht mit einem
ölgetränkten Besen entfernen“, rief er erregt. „Abgesehen davon kann ich kein
Heer von zigtausend Mann trainieren, das in den letzten Jahren keine optimale
Ausbildung erfahren durfte, wenn ich Euch richtig verstehe.“
„Was würdest du also vorschlagen?“
Bao überlegte eine Weile. „Wozu benötigt Ihr ein
gut ausgebildetes Heer? Wir leben in
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