Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
das auch gut so. Suan-Jen war
unter den Nebenfrauen nicht sehr beliebt, denn sie gab ihnen stets das Gefühl,
nur geduldet und nichts wert zu sein. Wenn sie sich am Palast aufhielt (was
selten war, denn sie zog ein Sommerhaus am Meer dem Palast in Dongjing vor,
lebte sie in ihren eigenen Räumen, die streng getrennt vom Haus der Frauen lagen. Seit Shenzongs Geburtstag im Frühling residierte sie am Hofe und hatte
sich seitdem noch nicht allzu oft gezeigt.
Mein Blick fiel auf Shinlan, die sich mit lautem
Lachen über Su-Ling amüsierte. Dann musterte ich ihren gewölbten Bauch und
musste lächeln. Ich war froh, dass dem Kaiser nicht nach meiner Anwesenheit
war. In den letzten Monaten waren drei Frauen schwanger geworden. Mir war das –
bis jetzt – erspart geblieben.
„Worüber diskutieren sie?“ Shinlan sah Cheng-Si
an.
„Es scheint, als wäre Wang Anshi ein Reformator
und spräche die gleiche Sprache wie unser Kaiser. Er unterbreitet ihm seine
Visionen; und nachdem, was ich bis jetzt gehört habe, klingt es unserem Kaiser
gut in den Ohren.“
„Meine Worte klingen ihm auch gut in den Ohren –
sehr gut sogar!“ Su-Ling verließ entnervt den Gemeinschaftsraum und einige
lachten.
Nachdenklich sah ich auf meine Handarbeit. Reformen?
Wo würde das hinführen? Veränderungen bedeuteten meist Krieg.
Cheng-Si beobachtete mich. „Was geht dir durch den
Kopf? Du kennst den Mann, nicht wahr?“
„Nein, ich bin ihm nie begegnet, aber er ist ein
entfernter Freund meines Vaters. Ich habe nicht viel Ahnung von politischen
Dingen, aber ich habe am Rande mitbekommen, dass Wang Anshi alles grundlegend
verändern will und ich frage mich, ob das Land dies überhaupt wünscht.“
Mir kamen vor allem die vielen Beamten in den
Sinn, die sich ein schönes Leben machten und ich hatte meine Zweifel; wie
schwer war es Vater in all den Jahren ergangen, auch wenn er stets gedacht
hatte, Mutter und ich hätten das nicht mitbekommen.
Eine Antwort auf diese Frage bekam ich wenige Tage
später. Wang Anshi war überraschend zum Kanzler des Kaisers ernannt worden und
hatte umgehend mit seiner Reform begonnen. Man sagte, die Minister hätten sich
erst gegen ihn gestellt und es habe einige hitzige Debatten gegeben über die
Pläne des neuen Kanzlers.
Cheng-Si hatte es im Hintergrund mitverfolgt und berichtete
uns davon: „Wang Anshi will allen Bürgern einen akzeptablen Lebensstandard
bieten als Voraussetzung für eine friedliche Koexistenz von Unter- und
Oberschicht.“
Einige Frauen tuschelten entsetzt, aber ich fand
nichts Schlimmes daran.
„Er sprach von einem Gleichgewicht der Preise für
Lebensmittel“, fuhr Cheng-si fort. „Und von zinsgünstigen Darlehen an
Kleinbauern gegen Pfändung ihrer Ernte!“
„Und was sagen die Minister?“, wollte Shinlan
wissen.
„Die waren zunächst alles andere als begeistert.
Aber als Wang Anshi sie an die Bauernaufstände unter Wang Xiaobo und Li Shun
erinnerte, kamen sie wohl zur Einsicht.“
Keine der Frauen interessierte sich wirklich für
Politik und so waren es nur noch Shinlan und ich, die Cheng-Si zuhörten. Diese
Aufstände, die sie erwähnt hatte, kannte ich nur aus Erzählungen. Zu Zeiten
meines Großvaters hatte die Unterschicht schon einmal versucht, gegen die
soziale Ungerechtigkeit im Lande aufzubegehren. Zehntausende hatten sich unter
der Großen Shu versammelt, doch die Köpfe der verschiedenen Gruppen
hatten sich bereits im Vorfeld zerstritten und die Bewegung war schließlich in
sich zusammengefallen, ohne wirklich etwas verändert zu haben.
„Steht das Land erneut vor einem Aufstand?“,
wollte ich wissen.
„Ich kann dir nur berichten, was Wang Anshi sagte.
Es war die Rede davon, dass es in letzter Zeit des Öfteren Konflikte mit dem
westlichen Nachbarn Xia gab.“ Cheng-Si sah mich an. „Aber fürchte dich nicht!
Wir sind hier in Sicherheit! Zudem hat Wang Anshi beschlossen, eine neue
Wehrverfassung auszuarbeiten.“
***
Wang Anshi sprach bereits eine Weile vor den Ministern
und hatte alle seine Punkte erläutert. Ein letzter war noch offen, bevor er zum
Ende kam. „Und nun zu meinem Vorschlag bezüglich der Wehrverfassung…“
Der Kriegsminister sah interessiert auf und
lauschte den Worten des neuen Kanzlers.
„…Er beinhaltet allem voran eine Reorganisation
der Truppen. Dies bedeutet im Einzelnen die Intensivierung des militärischen
Trainings und die Stärkung der Verteidigungskräfte. Für diesen Aufbau sollte
man erfahrene Männer zu
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