Die Geliebte des Koenigs
abwarten, ihn zu sehen.
Jesslyn schluckte heftig. „Er hat versprochen, am Nachmittag mit euch Tee zu trinken“, sagte sie rau.
„Wann ist endlich Tee?“, fragte Takia eifrig.
Genau daran hatte Jesslyn eigentlich gar nicht denken wollen. Sie hatte die letzte Nacht und die Art, wie Sharif sich am Morgen aus ihrem Bett gestohlen hatte, vergessen wollen. „Nach dem Lunch und ein bis zwei weiteren Schulstunden würde ich sagen.“
„Also erst in vier Stunden“, stellte Jinan fest.
„ Vier Stunden?“, stöhnte Saba und ließ ihren Kopf auf die verschränkten Arme fallen. „Das ist viel zu lange!“
„Das ist ja noch ewig“, pflichtete Takia ihr bei.
Am liebsten hätte Jesslyn die drei Kleinen einfach in die Arme geschlossen und kräftig gedrückt. Sie liebte es, den Tag mit ihnen zu verbringen. Es fühlte sich nicht nach Arbeit an, sondern ganz natürlich. Es fühlte sich richtig an. Die Kinder brauchten Liebe, und sie selbst brauchte es, gebraucht zu werden. Auch deshalb war sie Lehrerin geworden.
„Wie wäre es, wenn wir mal ein Weilchen etwas ganz anderes tun würden?“, fragte sie in die Runde. „Etwas … das Spaß macht?“
Jinan schüttelte den Kopf. „Hast du schon vergessen, dass wir keinen Spaß haben dürfen?“
Jesslyn hatte nicht gehört, dass die Tür zur Bibliothek geöffnet worden war. Plötzlich trat Sharif zu ihnen. „Warum dürft ihr keinen Spaß haben?“, fragte er. Prompt wandten sich ihm vier große Augenpaare zu.
Seine Töchter erhoben sich und verbeugten sich. „Willkommen zu Hause, Vater“, murmelten sie im Chor, ohne den Blick zu heben.
„Danke“, erwiderte er und ging zu ihnen. „Es ist schön, zu euch nach Hause zu kommen.“ Irritiert sah er von den Mädchen, die immer noch stumm auf den Boden starrten, zu Jesslyn.
Sie wusste nicht genau, was sie tun sollte. „Kinder, berichtet eurem Vater doch mal, was wir bisher getan haben“, schlug sie vor. Sie fühlte sich furchtbar. Mit einem Mal war die Spannung im Raum beinahe mit Händen greifbar.
Gehorsam setzten sich die drei wieder hin und schlugen ihre Textbücher auf.
„Jinan, warum erzählst du deinem Vater nicht etwas über die Geschichte, die wir heute abwechselnd vorgelesen haben?“
Das Mädchen warf seiner Lehrerin einen erschrockenen Blick zu.
Jesslyn hörte Sharif unterdrückt aufseufzen. Offensichtlich war er enttäuscht. Genau wie sie. Sie hatte sich wirklich gewünscht, dass die Kinder sich in Sharifs Gegenwart etwas entspannter verhielten. Aber er machte es ihnen auch nicht unbedingt leicht. Er schien nicht einmal zu wissen, wie er sich mit ihnen unterhalten sollte.
Sie lächelte Sharif zu. „Heute haben wir eine Art Vorlesewettbewerb veranstaltet. Und am Nachmittag wollen wir Bilder malen, die zu den gelesenen Kurzgeschichten passen.“ Sie machte eine Pause, in der glühenden Hoffnung, wenigstens eines der Mädchen würde jetzt auftauen und dem Vater von der Lesestunde erzählen – doch nichts geschah. „Deine Töchter können sehr gut lesen, alle drei“, fuhr sie also munter fort.
„Ich bin nicht so gut.“ Takia schaute ihren Vater entschuldigend an. „Ich kann nicht gut lesen.“
Jinan blickte auf. „Für eine Fünfjährige liest sie sehr gut.“
Saba nickte eifrig und klopfte ihrer kleinen Schwester aufmunternd auf den Rücken. „Das stimmt. Für ihre fünf Jahre ist sie sogar richtig klasse!“
Jesslyn verschränkte die Arme vor der Brust. Sie war stolz auf die Kinder. Und sie liebte diese Mädchen. Irgendwie waren sie beinahe schon ihre kleinen Mädchen.
„Ich habe immer schon gewusst, dass aus dir mal eine richtige Leseratte wird, Takia“, sagte Sharif. Die drei sahen ihn stirnrunzelnd an.
„Woher willst du das wissen?“, fragte Takia skeptisch.
Sharif schmunzelte. „Weil du schon als Baby mit Vorliebe auf Büchern herumgekaut hast.“
Saba kicherte, Takia strahlte und Jinan betrachtete ihren Vater mit einer Mischung aus Verwirrung und Erstaunen.
„Erinnerst du dich auch daran, wie ich als Baby war?“, wollte Saba wissen.
Er nickte und setzte sich auf die lange Bank zu Jinan. Mit einem Augenzwinkern lächelte er Saba an. „Du warst unser Schreihals. Das war deine Lieblingsbeschäftigung.“
Während Takia und Saba lachten, warf Jinan ihrem Vater weiter verstohlene Blicke zu. Sie hatte sich offenbar noch nicht entschieden, ob sie ihm zulächeln sollte oder nicht.
„Und Jinan?“ Die vorwitzige Saba zeigte mit ausgestrecktem Finger auf ihre ältere
Weitere Kostenlose Bücher