Die Geliebte des Koenigs
einfach nicht. „Was ist nur mit dir geschehen?“, sprach sie ihre Gedanken laut aus, zog das Laken fest um sich und glitt vom Bett. „Wer bist du, Sharif?“
„Ich habe keine Zeit für so etwas.“
„Nein, natürlich nicht. Aber du bist ja auch nicht mehr der Sharif Fehz, den ich kannte. Der Sharif von damals hat sich um seine Freunde und Familie gekümmert. Der Sharif von damals war nicht kalt und ständig beschäftigt.“
„Ich habe jetzt eine verantwortungsvolle Aufgabe.“
„Damals hattest du auch einen Job. Du warst ausgesprochen erfolgreich, und die Leute mochten dich. Ja, sie bewunderten dich. Ich habe dich bewundert.“
„Mein Volk hier in Sadad ist zufrieden“, erklärte er steif. „Mein Volk ist sogar glücklich. Es gibt keinen Krieg, keine Plagen, keine verheerenden Krankheiten. Die Wirtschaft ist stabil, die Menschen haben Arbeit und leben ihr Leben.“
„Aber du nicht“, sagte sie leise. „Du hast zwar eine Arbeit, doch kein Leben. Zumindest keines, das deine Kinder mit einschließt.“
„Ich sehe sie doch.“
„Einmal in der Woche! Und dann triffst du deine Kinder zwischen irgendwelchen Meetings, in irgendwelchen Korridoren und streitest dich noch vor ihren Augen mit deiner Mutter!“ Ihre Wangen glühten. Sie war unendlich betrübt und enttäuscht. Er hatte sie enttäuscht.
„Warum, glaubst du, habe ich dich hierher geholt? Ich weiß, dass sie Hilfe benötigen …“
„Aber sie brauchen nicht mich, sondern dich – ihren Vater!“ Wieso konnte er das nicht sehen? Warum wollte er nicht begreifen, dass er nicht nur ihr Vater, sondern ihre ganze Familie war. Er war alles, was die Kinder noch hatten. Ohne ihn wären sie Waisen – so wie sie …
Sharif presste die Kiefer aufeinander. „Tut mir leid, dass dich meine elterlichen Fähigkeiten nicht überzeugen können, aber ich versuche es. Ich gebe mein Bestes. Ich selbst habe meine Eltern als Kind nie zu Gesicht bekommen. Und ja, es war schwierig. Und ja, ich war sehr einsam. Doch ich habe verstanden, dass sie eine wichtige Stellung bekleideten. Ich wusste, dass sie sich um mich sorgten, auch wenn ich nicht so oft mit ihnen zusammen sein konnte, wie ich es mir vielleicht gewünscht hätte.“
„Um dich sorgten …“, wiederholte Jesslyn. „Ist das dasselbe wie Liebe?“
„Jesslyn!“
„Wenn deine Kinder Söhne wären, hättest du dann mehr Zeit für sie? Sei ehrlich, Sharif.“
Er machte einen Schritt auf sie zu und funkelte sie wütend an. „Wie kannst du es wagen? Wie kannst du es wagen, dir mir gegenüber derartige Freiheiten herauszunehmen?“
„Ich wage es, weil du vor nicht allzu langer Zeit zu mir gekommen bist und mir anvertraut hast, dass deine Kinder in Schwierigkeiten stecken. Ich wage es, weil du darauf bestanden hast, dass deine Kinder mich brauchen. Und ich wage es, weil du jemanden brauchst, der dir die Wahrheit sagt. Nur deshalb stehe ich hier und sage es dir.“ Sie wartete auf eine Reaktion von ihm, aber er schwieg. „Die Mädchen brauchen keinen weiteren bezahlten Babysitter und auch keine freundliche Fremde. Sie brauchen dich, ihren Vater, den einzigen Elternteil, der ihnen geblieben ist.“
„Und was ist mit meinem Volk? Was soll ich den Millionen von Menschen in diesem Land sagen, die von mir Hilfe erwarten? Soll ich ihnen erklären, dass ich keine Zeit für sie habe, weil die von meinen drei kleinen Töchtern beansprucht wird?“
„Warum nimmst du das nicht ernst?“, fragte Jesslyn betont kühl. „Die Mädchen brauchen dich keinesfalls den ganzen Tag. Aber sie haben das Recht auf ein wenig Zeit mit dir – regelmäßig, jeden Tag. Du könntest einfach ein paar Routinen einführen. Du könntest zum Beispiel einmal am Tag mit ihnen gemeinsam essen. Oder ihnen abends im Bett eine Gutenachtgeschichte vorlesen …“
„Soll ich das Kabinett vielleicht auch dazu einladen?“
Jesslyn betrachtete ihn lange, bevor sie traurig den Kopf schüttelte. „Vielleicht bist du jetzt König, Sharif – aber ich mochte dich lieber, als du noch ein Mann warst …“
Es überraschte sie nicht, dass Sharif sich ohne ein weiteres Wort abwandte und ging.
Mit einem frustrierten Seufzen ließ Jesslyn sich aufs Bett fallen und schloss die Augen. Sie wollte nicht länger über Sharif nachdenken. Es tat einfach zu weh.
Sie führte in Schardscha ein gutes, ruhiges Leben. Und das würde sie wieder aufnehmen, sobald ihre Zeit hier vorbei war. Sie hatte einen Job, den sie liebte. Ihre Kollegen waren nicht nur
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