Die Geliebte des Normannen
Hände des schlimmsten Feindes ihres Vaters begeben.
Die letzten, Furcht einflößenden Worte des Normannen gingen ihr nicht aus dem Kopf.
Wenn sie ihn recht verstanden hatte, gedachte er, solange er sie für eine unbedeutende Person hielt, mit ihr seiner Lust zu frönen. Wenn er ihre wahre Identität also nicht erfuhr, würde er sich Mary nehmen und sie fortschicken, sobald er ihrer überdrüssig war. Das würde ihre Entehrung und ihren Ruin bedeuten. Doug wollte sie dann sicher nicht mehr haben. Natürlich war er kein Dummkopf und würde sie trotzdem heiraten. Schließlich war sie eine Prinzessin mit einer großen Mitgift.
Sie weinte beinahe. Das Schlimmste allerdings würde sein, dass der Normanne die Wahrheit erfuhr. Wenn er darauf kam, dass sie die Tochter von Malcolm Canmore war, dann würde er sie als Geisel behalten, bis ihr Vater bezahlte, was Stephen verlangte, und sollte die Summe auch noch so exorbitant sein. Sie machte sich nicht einen Augenblick lang etwas vor.
Der Normanne würde alles daransetzen, ihren Vater in die Knie zu zwingen. Er würde weit mehr verlangen als Gold und Geld – nämlich Land. Kostbares, unbezahlbares schottisches Land. Land, für das wieder und wieder schottisches Blut vergossen worden war.
Und nach der Zahlung des Lösegelds – derer sie sich sicher war –, würde die Grenzregion einmal mehr mit einem schmutzigen, blutigen Krieg überzogen. Der seit zwei Jahren währende, brüchige Friede würde zerfallen wie ein Haus aus morschem Holz.
Sie ballte die kleinen Fäuste und sog Luft und Mut ein. Schlimmer konnte ihre Lage nicht werden. Mit grimmiger Freude konstatierte sie, dass sie ihm ihre Identität nicht preisgegeben hatte.
Dieser Normanne war ein Scheusal, sagte sie sich, das hatte er zur Genüge bewiesen. Aber ein Dummkopf war er nicht. Auch das hatte er gezeigt. Er hatte ihre sorgfältige Verstellung rasch durchschaut, und er zweifelte an ihrer erfundenen Geschichte – einer Geschichte, die nicht ganz unsinnig war und so manchen anderen hinters Licht geführt hätte. Sie würde all ihren Mut brauchen und all ihre Schläue. Er durfte noch nicht einmal erahnen, wen er da in seinen Händen hatte. Nun, nach ihrem Zusammentreffen, erkannte Mary seine unglaubliche Macht und seinen unbändigen Willen. Wenn der Normanne einen Weg fand, ihre wahre Identität aufzudecken, dann würde er diese ohne jeden Zweifel ausspielen, und dann würden ihr Vater und Schottland – und sie selbst – die schlimmsten Folgen zu tragen haben.
Genau wie ihr Vater andauernd Spione einsetzte, tat auch dieser Mann das mit Sicherheit. Heute Abend würde in Liddel wegen ihres Verschwindens eine Krise ausbrechen. Früher oder später würde ein normannischer Spion dies Stephen de Warenne berichten.
War er schlau genug, die Wahrheit zu erraten, sobald er erfuhr, dass Malcolms Tochter vermisst wurde? Aber wie konnte er unter solchen Umständen nicht darauf kommen, wer sie wirklich war!
Mary schloss die Augen. Wie konnte sie ihre Identität verbergen und ihn zudem möglichst von sich fernhalten? Es schien ein schier unmögliches Unterfangen. Der einzige Ausweg war Flucht, doch daran war zumindest im Augenblick nicht zu denken.
Sie wischte sich eine Träne ab. Weinen half gar nichts. Sie musste sich auf den nächsten Krieg der Worte und der Willensstärke vorbereiten. Bisher war sie dabei nicht sehr gut gefahren. Und sie wollte auch nicht wiederholen, was eben zwischen ihnen vorgefallen war; diese Begegnung, die sie so ausgelaugt und ihre Gefühle so verwirrt und aufgewühlt – und sie so eigenartig hatte reifen lassen.
Was eben zwischen ihnen vorgefallen war.
Mary gab einen erstickten Laut von sich, ihre Gedanken wurden von frischen Erinnerungen überflutet. Zu ihrem Entsetzen spürte sie noch immer seine Berührung, seinen Mund auf ihrem, seine harten Lenden an ihrem Leib. Ihr Körper begann zu pulsieren. Sie verbarg das Gesicht in den Händen. Mary konnte ihre Scham nicht mehr verdrängen; sie wurde von ihr überwältigt.
Erschöpfung überkam sie. Sie wollte nicht mehr über den unehelichen Erben nachgrübeln, drehte sich um und blickte sehnsuchtsvoll auf das Felllager. Sie konnte nur raten, ob der Normanne zum Schlafen zurückkommen würde oder nicht, und sie war zu müde, um noch nachdenken zu können. Aber das spielte keine Rolle. Sie konnte nicht in seinem Bett liegen, nicht einmal allein; schon der bloße Gedanke erschien ihr entsetzlich.
Mary sank auf die Erde und kauerte sich
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