Die Geliebte des Normannen
Kampftruppe handelte. Wenn sie es nicht schaffte wegzulaufen, solange die Männer mit dem Aufbau des Lagers beschäftigt waren, würde sie warten müssen, bis sie schliefen. Und dann musste sie mit den Wachen rechnen. Mary kauerte sich nieder und kämpfte gegen ihre Furcht an. Ein Zweig brach unter ihrem Fuß, doch niemand hörte das Knacken.
Mit einem langen Seufzer tat sie einen ersten Schritt zurück, ohne das Lager aus den Augen zu lassen. Doch genau in diesem Augenblick rauschte ein Luftzug durch die Krone der Eiche. Mary erstarrte und begann zu beten.
Einige der Ritter, die dem Wald – und ihr – am nächsten waren, drehten sich um und starrten direkt auf den Baum, hinter dem sie sich verborgen hatte. Sie bemerkten sie sofort. Mary brauchte keinen weiteren Ansporn mehr; sie hob die Röcke und floh.
»Halt! Bleib stehen, Weib!«
Sie hörte ihre Verfolger durch das Unterholz brechen und rannte, so schnell sie konnte. Unter sechs Brüdern aufgewachsen, war sie eine gute Läuferin, doch die plumpen Holzschuhe machten ihr zu schaffen. Plötzlich stolperte sie und schlug der Länge nach ins Gras.
» Oho!«, rief einer der Männer mit einem lüsternen Lachen. Gerade, als sie sich aufrappeln wollte, war er über ihr, packte sie am Nacken und zog sie zu sich.
Mary schrie wütend auf und versuchte, ihn in den Unterleib zu treten, doch er wich geschickt aus und lachte ebenso wie sein Kamerad nur über ihre verzweifelten Versuche, Widerstand zu leisten.
Er presste sie an sich, bis sie sich nicht mehr rühren konnte und um Atem rang.
»Ja, wen haben wir denn da?«
Ihr Häscher bekam große Augen, sobald er sie richtig ansehen konnte. Auch sein Freund verstummte verblüfft.
Ihr Schleier war verrutscht, und die beiden erkannten, dass sich darunter ein schönes Mädchen verbarg. Mary wusste sehr wohl um ihr Aussehen; sie hatte dafür schon öfter Komplimente bekommen.
Die »unvergleichliche Schönheit der Prinzessin Mary« war sogar von fahrenden Sängern besungen worden. Sie besaß ein makelloses, schmales Gesicht mit hellem Teint, einer kleinen Stupsnase, hohen Wangenknochen, mandelförmigen, grünen Augen und vollen, rubinroten Lippen.
Doch Mary wusste, dass äußere Schönheit nicht von hohem Wert war. Das hatte ihre Mutter ihr von Kindesbeinen an eingeschärft, und deshalb kümmerte sie sich nie sonderlich um ihr Aussehen – bis Doug ihr gestern gesagt hatte, er fände sie wunderschön.
Und bis zu diesem Augenblick. Bis sie von diesen beiden normannischen Rittern gefangen wurde, deren Absichten unverkennbar waren. Die großen, katzengleichen Augen aus Furcht und Trotz weit aufgerissen, versuchte sie verzweifelt zu überlegen.
»Ha!« Der junge Ritter lachte vergnügt. »Sieh einer an! Sieh nur, was ich da gefunden habe!«
»Ah, Will, wir haben sie gefunden – wir«, erwiderte sein Gefährte. Die anderen Männer im Lager hatten Marys Schreie gehört und versammelten sich nach und nach um die drei.
»Normalerweise teile ich gern, Guy, aber in diesem Fall nicht«, hielt Will ihm entgegen und packte Marys Arm noch fester.
Sie wehrte sich nicht mehr. Es war zwecklos, Energie zu vergeuden – vor allem, da sie all ihre Kraft brauchen würde, um sich gegen diese Männer zu behaupten. Die beiden Ritter begannen, über Marys Schicksal zu streiten, umringt von einem Dutzend weiterer Männer, die höhnische und lüsterne Bemerkungen beisteuerten.
Verzweiflung erfasste Mary, ihre Wangen wurden flammendheiß. Unglücklicherweise beherrschte sie das normannische Französisch sehr gut und verstand deshalb jedes Wort. Sie versuchte, rasch zu überlegen. Wenn sie ihre Herkunft nicht verriet, würde sie vergewaltigt werden wie ein gewöhnliches Bauernmädchen. Wenn sie ihre Identität jedoch preisgab, würde man sie als Geisel nehmen, und das wäre für Malcolm, ja für ganz Schottland, eine Katastrophe. Beides durfte nicht geschehen; sie musste irgendwie einen Ausweg finden.
Dann gewahrte sie, wie im Sonnenlicht eine Ritterrüstung aufblitzte. Ein älterer Mann trat aus dem Zelt und kam auf sie zu. Will und Guy verstummten, als er sich näherte und seinen Weg durch die Soldaten bahnte.
»Was ist das für ein Radau?« Seine grauen, kühlen Augen fielen auf Mary. »Ihr stört Stephen. Was haben wir denn da? Ein Amüsement für die Nacht?«
Jetzt hatte Mary endgültig genug.
»Ich bin kein Zeitvertreib für Kerle wie euch!« Sie war entschlossen, ihre Tarnung so lange wie möglich aufrechtzuerhalten und sprach mit
Weitere Kostenlose Bücher