Die Geliebte des Piraten
seufzte niedergeschlagen, als sie den nächsten feinen Stich in den Stoff machte, der über ihren Schoß ausgebreitet lag.
Jabari kümmerte sich um sie, und es mangelte ihr an nichts. Doch sie spürte, dass diese Situation den Jungen verwirrte. Und sie bemerkte die verstohlenen Blicke der Männer, die in der Kapitänskabine ein und aus gingen. Sie waren wie Stiche, die ihr nach und nach die Fassung raubten. Sie fühlte sich allein und verlassen.
Gestern hatte Raiden sie – ohne ein Wort der Erklärung – in eine andere Kabine gebracht und sie für fast zwei Stunden darin eingesperrt. Wohin, um alles in der Welt, sollte sie gehen? Wem sollte sie etwas erzählen? Es war ein brennender Schlag, dass er ihr nicht mehr vertraute, und Willa wusste, dass die Suche nach ihrem Sohn zu einem schmerzlichen Ende gekommen war. In seinem Zorn auf sie würde Raiden ihren Sohn in Alistars grausamen Händen lassen. Und sie waren sich so nah gewesen.
Mason war ihr nah, das fühlte Willa. Aber ebenso unerwartet, wie ihr die Hoffnung gegeben worden war, hatte die Realität diese jetzt wieder fortgespült. Denn Raiden würde ihr jetzt nicht mehr helfen. Tagelang währte dieses unerträgliche Schweigen nun schon, und Willa spürte, wie auch in ihr die Wut zu kochen begann und schließlich überschäumte. Wer war er, dass so kalt und vernichtend über sie urteilte? Sie hatte niemanden getötet. Sie hatte nicht gestohlen. Und eine Lüge war kein dunkles Verbrechen.
Zugegeben, es war eine große Lüge gewesen. Sie war durch das Ehegelübde gebunden und das ließ Raiden keine Chance, schloss ihn völlig aus. Willa stach die Nadel in den Stoff und traf ihren Finger. Sie saugte an der Fingerspitze, atmete tief durch und versuchte, alle nutzlosen Emotionen zu verbannen. Raiden hatte sie in dieser Kabine gewissermaßen ausgesetzt, aber sie würde das Beste daraus machen, bis ihr eine Lösung einfiel. Falls sie jemals wieder in einem Hafen anlegen würden.
In die Ecke der Bank gekauert, fühlte Willa kaum das stete Auf und Ab des Schiffes, so rasch ging die Fahrt. Durch die schrägen Fenster über sich sah sie, dass eine pechschwarze Nacht den Himmel verdeckte. Willa drehte sich in das Licht der Laterne und nähte weiter am Hemd für Jabari. Der Junge brauchte etwas anzuziehen, das ihm besser passte als das, was er jetzt immer trug. Ihre Gedanken wanderten wieder zu Mason, und Willa erinnerte sich daran, wann sie das letzte Mal bei ihm für ein Hemd Maß genommen hatte. Es ist für ein Nachthemd gewesen, dachte Willa und lächelte, als sie wieder vor sich sah, wie ungeduldig Mason dabei herumgezappelt hatte. Das Lächeln verschwand von ihrem Gesicht, als sie sich Alistars Reaktion ins Gedächtnis rief. Er hatte erklärt, dass er reich genug wäre, eine Schneiderin zu beschäftigen, und er hatte darauf bestanden, dass Willa nicht mehr selbst nähte. Alistars Gesicht tauchte vor ihr auf, und es schien ihr das Sinnbild der kalten, emotional unnahbaren englischen Aristokratie zu sein. Und derart war auch ihr Leben mit ihm. Und Mason hat am meisten gelitten, dachte Willa. Wie oft hatte der Junge die Hand nach seinem Vater ausgestreckt, nur um zu erleben, wie dieser vor ihm zurückwich und so tat, als existierte Mason nicht. Oh, dieser Schmerz in den Augen des Jungen, dachte sie und spürte, wie sie vor Zorn zu zittern begann. Selbst Mason mit seiner eingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeit hatte begriffen, dass sein Vater ihn nicht wollte. Und er konnte nicht verstehen, warum er abgelehnt wurde.
Willas Augen begannen zu brennen. Das Nähen war vergessen, als sie den Kopf in den Nacken fallen ließ und einen Schrei der Verzweiflung unterdrückte. Sie wollte Alistar Schaden dafür zufügen, dass er die Gefühle ihres Kindes verletzt hatte, und tief in die Ecke der Bank gedrückt, steckte sie die Hand zwischen die Kissen und tastete nach dem Samtbeutel mit den Juwelen. Die unter dem Futter versteckten Papiere knisterten leise, und mit einem Seufzer der Erleichterung, dass bislang niemand den Beutel entdeckt hatte, schob sie ihn noch tiefer unter die Kissen, ehe sie die Näharbeit wieder zur Hand nahm.
Mein Tag wird kommen, Alistar Peachwood. Er wird kommen.
Willa zuckte zusammen und blickte auf, als die Tür aufgestoßen wurde.
Raiden stand auf der Schwelle und zögerte einen Augenblick lang einzutreten, während er den Blick durch die Kabine schweifen ließ und ihn dann auf Willa richtete. Kalte Verachtung lag auf seinem Gesicht. Dennoch sah
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