Die Geliebte des Piraten
mehr. Das Einzige, dessen sie sich unverrückbar sicher war, war die Liebe zu ihrem Sohn.
»Ihr habt eine Viertelstunde, nicht länger«, flüsterte er.
Sie spürte, dass er ging, ein kalter Lufthauch strich über ihren Rücken. Willa sah sich nicht um, als sie in die Kabine lief. Bei jedem ihrer Schritte spürte sie den Riss in ihrem Herzen größer werden.
Willa spähte nach links und nach rechts, dann schlüpfte sie in das Langboot und rollte sich in dessen Bug so klein es ging zusammen, ehe sie die Persenning über sich zog. Sie versuchte, ruhig und tief zu atmen, während sie dalag und hoffte, dass niemand sie gesehen hatte.
Es war verflixt schwer gewesen, unbemerkt an Deck zu gelangen, auch wenn es dunkel war und sie die Hosen angezogen hatte, die sie im Dschungel getragen hatte. Das lange Haar hatte sie sich, zum Zopf geflochten, in den Hemdkragen gestopft, über dem Hemd trug sie einen Mantel. Willa lag vollkommen reglos, als das Boot zu Wasser gelassen wurde. In dem Augenblick, als es auf der Oberfläche aufklatschte, sprangen einige Männer hinein. Die Männer unterhielten sich leise, und als einer von ihnen einen Beutel auf sie fallen ließ, biss Willa sich auf die Lippen, um nicht laut aufzustöhnen.
Die Ruder wurden in die Dollen gelegt und bewegten sich knarrend darin, als die Männer das Boot im Schutze der schwarzen, stillen Nacht in Richtung Küste ruderten. Während der Fahrt sprachen sie darüber, dass sie jemanden aufsuchen wollten, den sie Futar nannten, und dass sie hofften, sich bei dieser Sache nicht die Finger zu verbrennen. Willa erkannte weder einen der Sprechenden an seiner Stimme noch wusste sie, wer dieser Futar war oder warum deren Finger in Gefahr sein sollten. Sie wollte einfach nur fort von diesen Leuten. Und fort von Raiden und dem Herzschmerz über das, was zwischen ihnen hätte sein können. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das Boot sein Ziel erreichte. Die Männer sprangen heraus und zogen es auf den Strand. Willa hörte das Rascheln von Zweigen und Blättern und vermutete, dass sie es darunter versteckten. Sie wagte nicht sich zu rühren, und verharrte auch dann noch reglos, als die Stimmen und die Geräusche verstummt waren. Sie musste sicher sein, dass niemand herumlungerte und sie entdeckte.
Es waren einige Minuten vergangen, als Willa wieder ein Rascheln hörte.
»Steigt aus.«
Wieder diese Stimme. Willa schob die Säcke und die Persenning von sich herunter und setzte sich mühsam auf. Eine Gestalt zeichnete sich schattenhaft in der Dunkelheit ab, und Willa richtete sich auf, um sie deutlicher zu sehen. Von ihrer Warte aus wirkte der Mann unglaublich groß. Willa stand auf, nahm ihren Beutel auf und schaute den Mann abwartend an. Es war so dunkel, dass sie kaum die Hand vor Augen erkennen konnte, ganz zu schweigen davon, den Unbekannten identifizieren zu können.
»Beeilt Euch.«
Er sprach klar und deutlich, jedoch ohne auch nur die Spur eines Akzents, der ihn hätte verraten können. Er ging voran, und Willa, die keine andere Wahl hatte, folgte ihm. Sie hatte Mühe, sich in dem nassen Sand auf den Beinen zu halten. Nach einigen Metern zog der Mann sich eine Kapuze über den Kopf. Ob es Perth ist?, fragte Willa sich. Oder jemand, dem ich noch nie begegnet bin? Schließlich lagen die Renegade und die Sea Warrior in dem abgeschiedenen Hafen dicht nebeneinander vor Anker und jedes der Schiffe verfügte über gut und gern hundert Mann Besatzung.
»Warum helft Ihr mir?«
Er antwortete nicht.
»Ihr wisst, dass er es herausfinden wird«, sagte sie.
»Nein, das wird er nicht.«
Sie schnaubte. »Er verdächtigt jeden.«
»Bis auf Euch.«
»Was das betrifft, so irrt Ihr Euch gewaltig.«
Willa bemerkte die beiden Pferde, die angebunden unter den Bäumen standen. Der Unbekannte drückte ihr die Zügel in die Hand und schwang sich in den Sattel. Willa hielt sich nicht erst damit auf, den Beutel am Sattel zu befestigen, sondern kletterte gleich, den schweren Beutel auf dem Rücken tragend, in den Sattel. Unschlüssig schaute sie sich nach der Renegade um. Das schwarze Schiff war in der Dunkelheit kaum zu sehen, und Willa fragte sich, was Raiden tun würde, wenn er ihre Abwesenheit entdeckte. Würde er nach ihr suchen? Oder würde er einfach jeden Gedanken an sie beiseite schieben?
Willa zog ihr Pferd um die Hand und folgte ihrem geheimnisvollen Befreier. Der Ritt dauerte schon länger als eine Stunde, als die Lichter eines Dorfes vor ihnen auftauchen. Der
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