Die Geliebte des Piraten
dabei auf Raidens Bruder gerichtet. Es gelang Roarke, auf die Beine zu kommen. Doch Alistars Männer gingen sofort auf ihn zu. Alistar beschleunigte seine Schritte, zerrte Willa die Straße entlang und verschwand in der Dunkelheit. Willa schaute zurück, bis sie im fahlen Licht der Fackel nur noch Schemen erkennen konnte. Ein Schuss peitschte durch die Stille, und ihr Herz schien dabei zu zerreißen. Roarke. O Gott, hilf ihm.
»Ich werde dich tot sehen, Alistar Peachwood.« Sie tastete nach ihrer Pistole, doch die Waffe war fort.
»Deine Drohungen sind so leer wie deine Taschen, außerdem hast du mir jetzt genug Ärger gemacht, Frau.« Er schleuderte Willa auf die Straße und starrte sie an. »Warum bleibst du nicht da, wo du hingehörst?« Er ging weiter.
Sie setzte sich auf. »Du bist ein Narr, das auch nur zu fragen!«
»Der Junge ist tot.«
»Nein! « Sie schrie auf, sprang hoch und griff Alistar an.
Alistar seufzte, dann schlug er Willa den Griff seiner Pistole gegen die Schläfe. Wie ein Sack fiel sie ihm vor die Füße. Er schaute auf sie herunter, während er ein Taschentuch aus seinem Ärmel zog, es auseinander schlug und ihr Blut vom Holzgriff wischte. Bei Gott, was für eine lästige Frauensperson sie doch war.
Das Pferd, auf dem Raiden durch die kleine Stadt ritt, hatte er gestohlen, und entlang seines Weges ließ er eine Spur von verschreckten Menschen zurück. Ein blutiger Messerhieb zog sich quer über seine Brust, und dieser Anblick warnte jeden davor, Raiden in die Quere zu kommen. Er ging methodisch vor, nahm sich Schänke um Schänke vor und kam auf seiner Suche nach Willa den Kais immer näher. Einem Ort, an dem er Gefahr lief, erkannt zu werden. Aber das kümmerte ihn jetzt nicht mehr. Alles, was er wollte, war, Willa in Sicherheit zu wissen.
Als er aus der letzten Schänke herausstürmte, sah er den mit Leichen beladenen Karren der Totengräber heranrollen. Raiden empfand den Geruch des Todes als unerträglich und beschleunigte seine Schritte. Bei einer kleinen Gruppe britischer Soldaten, die sich um einen auf der Straße liegenden Körper geschart hatte, blieb er stehen. Sein Herz klopfte heftig, als er die Männer zur Seite stieß, ohne sich darum zu sorgen, ob man ihn erkannte. Er starrte auf die leblose Gestalt herunter und wusste sofort, dass es nicht Willa war. Er bückte sich und rollte den Toten auf den Rücken.
Die leeren Augen eines dunkelhaarigen Mannes starrten ihn an.
»Ihr kennt ihn?«, fragte einer der Soldaten und machte einen großen Bogen um Raiden.
Raiden schüttelte den Kopf.
»Er hatte Goldstücke bei sich – Sovereigns.«
Raiden schaute auf und musterte den Soldaten eindringlich. Der Mann wich zurück. Englische Goldmünzen waren in dieser Gegend ein nicht gerade übliches Zahlungsmittel. »War jemand bei ihm? Ein anderer Mann?«
Die meisten der Umstehenden zuckten mit den Schultern und wandten den Blick ab, einige gingen davon. Raiden vermutete, dass sie das Gold bereits unter sich aufgeteilt hatten. Der Totenkarren hielt neben der Leiche, und als die beiden Totengräber müde herunterkletterten, zerstreuten sich auch die Letzten der Schaulustigen.
»Fünf Stück sind’s heute Nacht schon. Werden bald keinen Platz mehr haben, sie zu begraben«, murrte der eine.
Raiden packte ihn am Aufschlag seiner Jacke. »Waren auch Frauen unter den Toten?«
»Ja, eine«, sagte der Ältere der beiden.
Raidens wurde das Herz eng, und er schluckte. »Zeig sie mir.« Er brachte nur ein krächzendes Flüstern heraus.
Die Totengräber gingen zur Ladefläche des Karrens und rollten eine der Leichen herum. Raidens Gesicht entspannte sich vor Erleichterung, als er auf das aufgedunsene Gesicht einer alten Frau schaute. »Habt ihr einen Jungen gesehen, der allein unterwegs ist?« Er sah die beiden hageren Männer fragend an. »Einen dünnen Burschen.« Er wollte niemanden darauf stoßen, dass sich eine Frau unter den Männerkleidern verbarg.
Die beiden wechselten einen Blick und sahen Raiden dann mit großen Augen an. Er warf jedem der Männer eine Münze zu, die sie ihm Flug auffingen. »Wir haben ’nen Jungen gesehen, mit ’nem riesigen Kerl, so wie Ihr, würd’ ich sagen.«
»Ja, ich würd’ sagen, das war er.« Der Mann runzelte die Stirn. »Was wollt Ihr von dem Jungen?«
»Was habt ihr noch gesehen?«
»Wir haben uns verzogen, als die anderen aufgetaucht sind.«
Raiden wiederholte seine Frage, bot ihnen mehr Geld, aber das seltsame Paar behauptete, nichts
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