Die Geliebte des Piraten
mehr als dass er sie sah. Doch Schuft, der er war, genoss er dieses Bild, sah sich daran satt, bis Willa sich den Gürtel umlegte.
Sie wich zurück, als Raiden zu ihr hinter den Wandschirm kam. Er reichte ihr einen kleinen hölzernen Kasten. Sie runzelte die Stirn, als sie ihn entgegennahm und öffnete. Darin lagen ein in Gold gefasster Kamm, eine Bürste aus Wildschweinhaaren und ein kostbarer Handspiegel. »Eine Errungenschaft einer Eurer Beutezüge, Pirat?«, fragte sie mokant.
»Nein.« Er klappte den Paravent zusammen und lehnte ihn gegen die Wand. »Es gehörte meiner Mutter, zumindest hat man mir das gesagt.«
»Gesagt? Habt Ihr sie denn nicht gekannt?«
Er öffnete eines der Fenster und ließ die kühle Nachtluft und den Dunst der See in die Kabine hinein. »Nein – bis auf die Stunde, in der sie mich zur Welt gebracht hat.«
Willa runzelte die Stirn und beobachtete jede seiner Bewegungen. Er ging zum Waschzuber, hob ihn hoch und trug ihn zum offenen Fenster. Die Wanne war fast bis an den Rand gefüllt, und Willa sah, wie sich Raidens Muskeln unter seinem schwarzen Hemd anspannten, als er seine Last hochstemmte und das Wasser ins Meer schüttete. Es machte ihr einmal mehr bewusst, wie stark er war und dass er ihr mit einer Hand den Hals brechen könnte. Doch in diesem Moment, als sie die Bürste und den Kamm betrachtete, fragte Willa sich eher, was für ein Leben dieser Mann bis jetzt geführt hatte. Dass er seine Mutter nicht gekannt hatte, löste jede Menge Spekulationen und Überlegungen in ihr aus.
Würde Mason sich eines Tages nicht mehr an sie erinnern können? Der Gedanke war Willa unerträglich. Den kleinen Holzkasten noch immer in den Händen haltend, ging sie zur Sitzbank und setzte sich. »Was ist mit ihr geschehen? Und wann hat man Euch dieses Kästchen gegeben?«
»Soweit ich weiß, starb sie bald nach meiner Geburt.« Er schwieg einen Moment lang. Dann sagte er: »Die Garnitur kam anonym, mit einem kurzen Schreiben dabei.«
»Und was ist mit Eurem Vater?«
Er zögerte kurz, ehe er weiterging und den leeren Zuber zu seinem Platz in der Ecke zurücktrug. »Er hat mich nur einmal gesehen.« Raiden hatte Willa den Rücken zugewandt, er sprach leise. »Er gab mir meinen Namen.« Raiden wollte das Mitleid in ihren Augen nicht sehen und fragte sich, warum er ihr davon erzählte, warum er alte Wunden wieder aufriss.
»Wer hat Euch davon erzählt? Ihre Familie? Seine?«
Raiden wandte sich halb zu Willa um und warf ihr einen Blick zu, der besagte, dass diese Unterhaltung für ihn beendet war.
»Ihr besteht also darauf, alles über mich zu erfahren, weigert Euch aber, mir meine Fragen zu beantworten?«, sagte Willa. Raiden schwieg beharrlich. »Also gut, dann eben nicht.« Willa seufzte resigniert und betrachtete das Kästchen auf ihrem Schoß. Sie strich mit den Fingerspitzen über die kostbare Garnitur, die schöner war als alles, was sie selbst besaß. Willa fragte sich, wer diese Frau gewesen war, die Raiden geboren hatte, wer der Mann, den er seinen Vater nannte.
»Es sei denn, Ihr macht mir die Freude, mir zu verraten, was Ihr in der Schänke gewollt habt.«
»Könnt Ihr Euch das denn nicht denken?« Willa zupfte an ihren Haaren, um sie zu entwirren. »Ich war auf der Suche nach Informationen über meinen Sohn.« Und das ist die Wahrheit, dachte sie – auch wenn ich diese Informationen nur bekommen kann, wenn ich mich auf Alistars Spur setze. Der ganze Kummer, den sie bis jetzt unterdrückt hatte, kam ihr jäh zu Bewusstsein. Ihre Augen brannten. Wie sollte sie je nach Kalkutta zurückkommen, um aufzudecken, was Alistar getan hatte, mit wem er gesprochen hatte, und wo er, Gott helfe ihr, Mason versteckt hielt? So wie sich seine Spur verlieren würde, würde sie sterben.
»Warum gerade dort?«
»An Bord eines der Schiffe ist ein kleiner Junge gesehen worden. Man hat mir gesagt, dass Sklavenhändler in dieser Schänke verkehren, und dass diese Hexe von Wirtin mit allem handelt, was ihr etwas einbringt, auch mit Seelen und Fleisch … in jeder Form.« Sie warf ihm einen harten Blick zu. »Und werft mir nicht wieder meine Torheit vor, Pirat. Ich habe heute mehr Erfahrungen damit gemacht als mir lieb ist.«
Willa legte den Kamm in den Kasten zurück, nahm die Bürste heraus und begann, sich heftig das Haar zu bürsten. Es war ihr Fehler gewesen. Sie hätte jemanden dafür engagieren sollen, die nötigen Nachforschungen für sie anzustellen. Aber Manav hatte sie gewarnt, niemandem zu
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