Die Geliebte des Piraten
griff nach seiner Pistole. Ein unbekanntes Geräusch durchdrang die Stille. Als ihm die Erkenntnis dämmerte, was es war, legte er die Waffe beiseite und verließ das Bett. Nackt wie er war ging er zu dem Lager aus Kissen und Decken, das Willa sich auf dem Boden neben dem Schreibtisch bereitet hatte. Sie schluchzte im Schlaf.
Seit zwei Tagen verhielt Willa sich gleichgültig und teilnahmslos. Selbst einen Spaziergang an Deck hatte sie abgelehnt. Sie nahm so gut wie nichts mehr zu sich und weigerte sich, Raiden anzusehen oder mit ihm zu sprechen. Das Angebot, in seinem Bett zu schlafen, war von ihr ausgeschlagen worden. Vermutlich weil sie befürchtet hatte, er würde zu ihr kommen. Doch er hätte es nicht getan. Raiden wusste, was es bei ihm anrichten würde, neben dieser Frau zu liegen. Er sehnte sich danach, ihre Leidenschaft zu erfahren, all ihre Geheimnisse zu ergründen. Sie schwebte in tödlicher Gefahr, und er war dem Grund für diese Bedrohung keinen Schritt näher als an dem Tag, an dem er sie an Bord getragen hatte.
Verdammt, aber er wollte diese Verantwortung für sie nicht, er wollte sich nicht um sie sorgen, sich fragen, was für ein Leben sie geführt hatte und was die Zukunft bringen würde. Denn eines wusste Raiden ganz sicher: Gab er seinen Wünschen und seinem Verlangen erst einmal nach, dann würde sein Herz bald folgen. Und das war das Letzte, was er brauchte: eine Frau zu begehren, wenn seine Tage gezählt waren.
Raiden berührte ihre tränennasse Wange. Willa flüsterte seinen Namen und schmiegte das Gesicht in seine Hand. Raiden war zumute, als hörte sein Herz genau in diesem Augenblick auf zu schlagen. Ihre zarte Haut, ihr leiser Atem – er fühlte sich auf unerklärliche Weise machtlos, und für den Bruchteil eines Augenblicks genoss er dieses Gefühl. Doch dann zog er die Hand zurück und strich sich durchs Haar. Das ist Wahnsinn, dachte er. Er deckte Willa zu, ehe er in sein Bett zurückkehrte. Gleich morgen früh würde er einen Weg finden, dieser Sache ein Ende zu machen.
Er tat es nicht. Und der dumpfe, glanzlose Ausdruck in Willas Augen ließ Raiden zwischen Ärger und Mitleid hin und her schwanken. Eine solche Stimmung hatte er bislang nicht gekannt. Willa hatte weder das Kleid angezogen, das er für sie auf die Truhe gelegt hatte, noch hatte sie das Essen angerührt. »Verdammt, Willa. Esst endlich etwas.«
Iss dies, trag das, schlaf hier, dachte Willa und richtete den Kragen des Morgenmantels, den sie trug. Den ganzen Tag lang kommandierte Raiden sie herum, doch es kümmerte sie nicht weiter. Ohne die Hoffnung darauf, ihren Sohn zu finden, sah Willa keine Veranlassung, anderen Befehlen zu folgen als denen, die ihr Herz ihr gab. Sie saß in der Falle, war eine hilflose Gefangene, aber sie hielt an ihrem Schwur fest, Raiden das Leben schwer zu machen, damit er sich ebenso elend fühlte wie sie.
»Ich kann Euch zwingen.«
»Das scheint Eure Art zu sein, Raiden. Aber wenn Ihr mich anrührt, werdet Ihr meine Zähne zu spüren bekommen.«
»Das wäre immer noch besser als dieses kindische Benehmen!«
Sie schoss ihm einen giftigen Blick zu. »Was wisst denn Ihr von Kindern!« Ihre Stimme brach, und in seinen Augen flackerte ein harter Ausdruck auf. »Ihr seid auf der Jagd nach Beute und nach immer mehr Reichtum, den Ihr hortet.« Sie wies auf die luxuriöse Kabine. »Doch wenn ich Euch bitte, mir auf der Suche nach etwas zu helfen, das mehr wert ist als all Eure verdammten Reichtümer, dann weigert Ihr Euch. Die Prise ist alles, was Euch interessiert.«
»Meine Beute besteht durchaus nicht nur aus Geld und Gold.« Leicht vorgebeugt, die Hände auf den Schreibtisch gestützt, starrte Raiden Willa an, bis sie die Botschaft in seinen Augen las.
»Niemals. « Sie war keines seiner verdammten Beutestücke. Wie konnte er ihr seine Hilfe verweigern und erwarten, dass sie trotzdem das Bett mit ihm teilte?!
An der Tür klopfte es laut, und Willa trat ans Fenster. Abweisend kehrte sie Raiden den Rücken zu, über den die Kaskade ihrer flammendroten Haare fiel. Raiden biss die Zähne zusammen und wandte seine Aufmerksamkeit den vor ihm liegenden See- und Landkarten zu. »Herein«, rief er barsch. Die Tür schwang auf, und Tristan trat über die hohe Schwelle in die Kabine. Er runzelte die Stirn, während er erst Raiden und dann Willa ansah.
»Raiden, sei ein lieber Junge und stell mich der Dame vor.«
Willa wandte sich um. Ein wirklich gut aussehender Mann, stellte sie fest. Er war
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