Die Geliebte des Piraten
können. Aber sie hatte es nicht getan. Er fragte sich, ob es die drohenden Gefahren waren, die sie bei ihm hielten, oder ob es die Aussicht war, ihren Sohn zu finden – oder ihn. Vielleicht ist es ein wenig von allem, dachte Raiden. Was ihn hingegen unablässig quälte, war die Frage, wer er war, dass er es wagte, das Leben noch einer Frau in Gefahr zu bringen. Schmerzvolle Erinnerungen drohten in ihm aufzusteigen, und er rieb sich die Stirn, um sie zu verbannen. Er wollte niemanden mögen – doch er tat es zutiefst. Er wollte kein gejagter Mann sein, aber er war es. Er wollte, dass sie fortging, damit sie in Sicherheit war, denn eine Frau wie sie sollte sich nicht im Dschungel verstecken und Hosen tragen, ihr Abendessen auf einem Lager aus Farnblättern einnehmen müssen.
Raiden ließ die Hand sinken, um Willa anzusehen. Sie schlief, und ihr Gesicht war ruhig und entspannt. Sie weckte in ihm den Wunsch, blind sein zu können für die Dinge, die er getan hatte, für die hässliche Vergangenheit, der er nicht entrinnen konnte und die seine Seele zerstörte. Ihre Seele war rein und gut, doch es war noch etwas anderes, das ihn anzog. Es war auch ihre Entschlossenheit, ihr Ziel zu erreichen und zu gewinnen. Sie kämpfte um das, was ihr gehörte. Und Raiden wünschte sich, dass auch er ihr einen solchen Kampf wert wäre.
»Er ist hier. Ich kann ihn fast riechen«, knurrte Admiral Dunfee, der mit weit gespreizten Beinen dastand, um auf dem schwankenden Deck das Gleichgewicht zu halten.
»Sir, wir suchen diese Gegend nun schon seit Tagen ab.«
Dunfee warf dem Offizier einen vernichtenden Blick zu. »Dann durchsuchen wir sie eben noch einmal, Lieutnant.«
»Aye, aye, Sir.«
Der junge Offizier wandte sich seinen Pflichten zu, während Dunfee mit den Fingern schnippte und nach dem Fernrohr verlangte. Binnen Sekunden brachte jemand es herbei, und der Admiral richtete es auf das offene Wasser. Zurzeit segelten einige Schiffe in diesen Gewässern – eine französische Brigg, die er angreifen könnte, und zwei holländische Schoner – doch es war ein schwarzes Schiff, das er suchte. Und er würde nicht ruhen, bis er das Piratenschiff versenkt hatte. Der Schwarze Engel führte seine Beutezüge gegen die Company schon viel zu lange. Die See ist von Schmutz übersät, der beseitigt werden musste, dachte er. In diesem Monat hatte er bereits zwei Piratenschiffe versenkt.
Dunfees Gedanken wanderten weiter zu einer anderen Jagdbeute, zu einem anderen Mann, den er aufspüren musste. Doch erst musste der berüchtigte Schwarze Engel in Ketten liegen, ehe er seine Jagd auf Raiden Montegomery fortsetzen und zu Ende bringen konnte.
Granvilles Bastard würde sterben, und Percival Dunfee würde endlich alles haben, was er begehrte. Einen Adelstitel und Ländereien, mit der man ihm seine heldenmutigen Taten auf See zum Wohle Englands und der East India Company lohnen würde. Verdammt noch mal, er verdiente diese Anerkennung, und allein Raiden Montegomery war der Grund dafür, dass Dunfee die Belohnung des Königs bis jetzt noch nicht hatte annehmen können.
Denn Montegomery war der einzige Zeuge der Verbrechen Dunfees, der noch am Leben war.
Willa saß neben dem Lagerfeuer und beobachtete Raiden. Er hockte auf dem Boden und hatte die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt. Mit den langen offenen Haaren und dem nackten, von Schweiß schimmernden Oberkörper sah er eher wie ein Eingeborener denn wie ein Kapitän zur See aus. Die Tätowierung auf seinem Arm bewegte sich bei jeder Muskelanspannung, als er die Skizze in den Sand zeichnete und den Männern seinen Plan erläuterte, wie sie an den britischen Truppen vorbei zur Renegade gelangen wollten. Am Morgen würden sie zur letzten Etappe ihres Weges aufbrechen, und Willa wusste, dass sie sein Schiff nicht betreten konnte, ohne ihm vorher die Wahrheit gestanden zu haben.
Ihre Lügen quälten sie. Sie wünschte, sie wäre nicht verheiratet; wünschte, Mason wäre bei ihr und könnte Raiden kennen lernen, dessen Stärke, dessen Warmherzigkeit.
O Gott, was habe ich nur getan?, dachte sie und schlang die Arme um sich. Immer, wenn sie in den beiden vergangenen Nächten erwacht war, hatte sie eng an Raiden geschmiegt dagelegen, hatte sich sicher und beschützt gefühlt. Und in diesen beiden Nächten hatte sie versucht, die Worte auszusprechen, von denen sie wusste, dass sie die Nähe zerstören würden, die sie zueinander hatten. Es brach ihr das Herz, Raiden anzusehen und zu
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