Die Geliebte des Trompeters
besten Cognac gäbe. Immerhin gab es welchen. Selbstsicher bestellten ihn die Angehörigen der fremden Streitkräfte. Hastig und stumm betranken sich die Deutschen, immer auf der Hut, immer wieder witternd und um sich schauend: Noch war es nicht lange her, dass das scharfe Fraternisierungsverbot der Alliierten aufgeweicht worden war. Da hatte es Frauen gegeben, denen der Mörtel noch in den Haaren hing: Sie hatten sich durch den ausgebombten Querriegel des Hauses eine Mauerlücke gesucht und kletterten durch die Seitenkeller herein.
Was suchten sie hier? Was versprachen sie sich? Was bewirkte diese Entschlossenheit? Woher kam diese Sucht nach Vergnügen? Die Nachdenklicheren grübelten gelegentlich darüber nach, aber nicht zu lange, denn dann wurden auch sie wieder überwältigt von der Lebenswut dieser Menschen, die ganz Europa den Tod gebracht hatten. Die Amerikaner verstanden es nicht. Sie hielten Berlin für ein Rätsel. Inzwischen waren die Verhältnisse ein wenig geregelter. Jetzt verschaffte ein begehrter
Gesellschaftsausweis
den deutschen Frauen offiziell Zugang zu den Mannschaftsclubs der Besatzer. Jetzt war das Fraternisierungsverbot aufgeweicht. Aber konnte man sich darauf verlassen? Die Geschlagenen blieben misstrauisch. Sie blieben unter Druck. Sie würden keinen Tag versäumen. Sie würden jetzt und hier leben. Dieses Fieber bestimmte die Atmosphäre. Auch im Jazzclub.
|54| Der Junge wunderte sich, woher Dick den Weg wusste. Kein Schild wies ihnen den Weg. Dick aber war sicheren Schrittes um ein paar Straßenecken gebogen, dann hatten sie ein Ruinenfeld überquert, in dem die Haufen zwei Stockwerke hoch lagen, eine einzige Haushälfte darin, abgebrochen, gefährlich zur Seite geneigt, hohläugig. Die Bewohner der umliegenden Häuser hatten jetzt, da es warm war, die Fensterpappen entfernt, so dass in den Fensterhöhlen hier und da Licht flackerte. Von irgendwo hörte man Stimmen, hohl und hallend. Wie ein Kürbis, dachte der Junge, diese ganze Gegend ist wie eine Halloween-Kulisse, und die Menschen darin sind Gespenster. Zum ersten Mal bedauerte er, keine Waffe zu tragen.
Er hielt sich dicht bei seinem Freund, aber der sprang und turnte mit der Sicherheit einer Katze durch die Ruinen. Für Dick war die Stadt ein riesiges Abenteuer. Die zuschanden gekommene Architektur ein Spielplatz. Vielleicht verstand er sich deshalb mit den Kindern so gut. Wo immer Dick tagsüber patrouillierte, waren Kinder um ihn herum. Vielleicht, weil er sie verstand. Vielleicht, weil er das Leben nahm wie sie. Vielleicht auch nur, weil er gern lachte.
Auch jetzt lachte Dick, denn sie hatten ihr Ziel erreicht. Er blieb stehen und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Der Junge schwitzte. Er sah einen ehemaligen Prachtbau, einen improvisierten Kellereingang mit einer Luke. Dick hob ihn an, hieß den Jungen passieren. Ein Mann winkte sie herein. Dicke Luft quoll ihnen entgegen, drang nach oben und war so weiß und heiß und stickig und fettig, dass man sie greifen konnte, Luft, wie von einer großen Hand zusammengeknüllt. Der Junge sog den Atem ein.
Das ist die Berliner Luft
!
, zitierte Dick grinsend auf Deutsch einen Schlager, den sie alle kannten. Komm jetzt! Es mischte sich der Geruch ungewaschener weiblicher Körper mit dem |55| scharfen Aftershave der Amerikaner, es mischte sich der Balsamgeruch der Franzosen mit dem hastig hervorgestoßenen Zigarettenrauch aus rot bemalten Mündern, es mischten sich Arbeitsschweiß und Angst, der Geruch von Entbehrung und armseligen Suppen, von Staub und ungelüfteten Kleidern, von Lederstiefeln, von nächtlicher Feuchtigkeit, von Gier, von Endlichkeit.
Irgendjemand hatte es geschafft, eine Lichterkette durch die Kriegsjahre zu retten, die rote, blaue, gelbe und grüne Kleckse in den Rauch tupfte. Eine Erwartung hing im Raum, eine kleine Ausgelassenheit. Der Junge merkte, wie sich sein Körper straffte. Blicke folgten ihm, weibliche Blicke, als er nun hinter Dick zur Theke ging, fast spürte er diese Blicke auf seinen Schulterblättern, in der Taille, auf den Hüften. Verdammt schnell nahmen diese Frauen Maß, niemand hier hatte Zeit zu verlieren. Der Junge bestellte ein Bier – und entdeckte die Band.
Es waren sechs oder sieben ausgemergelte Typen, Deutsche, die, wie man ihm erzählte, in den dreißiger Jahren ein ganz passables Tanzorchester gebildet hatten. Aber dann waren die Nazis gekommen. Als erstes hatte man ihnen den Swing genommen, dann überhaupt jede Art
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