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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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fremdländischer und minderwertiger
Musik, dann aber hatte es nicht mehr nur die Noten, sondern die Musiker selbst erwischt, und eines Tages war Danny verschwunden, Danny, der Kapellmeister und Pianist, der sämtliche Arrangements geschrieben und den Laden zusammengehalten hatte. Nach Danny waren Pico und Herb abgeholt worden, und dann hatte sie der Krieg in alle Winde zerstreut. Das hier war der Rest, das hier waren die Überreste des Tempelhofer
Danny Banana Orchestras
, und diese sieben hatten nicht vor, sich unterkriegen zu lassen, jetzt nicht mehr, jetzt erst recht nicht, und also spielten sie, woran sie sich noch erinnern konnten. Musiker waren vielleicht die einzigen, die |56| sich erinnern konnten, die keine Angst haben mussten vor dem, was gewesen war.
    Der Junge wippte mit dem Fuß, mehr für sie als für sich selbst. Die hageren Typen spielten alte Hits, Zeugs, das auch er auswendig kannte, und sie spielten es nicht einmal schlecht. Sie hätten genauso gut in irgendeinem Schuppen in Syracuse oder Newark auftreten können, nur ein bisschen mehr auf den Rippen hätten sie dafür haben müssen und nicht diese verbissenen, bleichen Gesichter. Die Augen lagen tief in den Höhlen, schwarze Augen, überhaupt schien die ganze kaputte Stadt nur aus schwarzen Höhlen zu bestehen, kleinen und großen, und der Junge wischte sich über die Augen, weil sich die Albträume mittlerweile selbst dann meldeten, wenn er wach war.
    Der Junge konnte die Augen von diesen Typen nicht abwenden. Er sah, wie die Wangen des Trompeters vibrierten, wie der Saxophonist sein Instrument absetzte und das Ventil reinigte. Dann sah er: Auch die Hand des Saxophonisten vibrierte. Ebenso die Rechte des Gitarristen. Alles vibrierte – jetzt merkte er es. Er spürte, wie seine eigenen Zähne leise aneinanderschlugen und wie der Trompeter sein Instrument noch fester zwischen die Lippen klemmte. Dick stieß ihn mit dem Ellenbogen an: die U-Bahn ! Die U-Bahn fährt wieder! Unter dem Haus verlief eine der nun wieder funktionierenden fünf Linien der U-Bahn , und während sie hier herumstanden und tranken, bohrten sich die gelben Wagenketten der Berliner Verkehrsgesellschaft erstmals nach dem Krieg wieder durch den Untergrund der Stadt. Jetzt horchten alle hin. Jetzt hielten alle inne. Sie lachten. Sie lachten und applaudierten, und die
Danny Banana Band
legte noch einen Takt zu, als müsste auch sie sich in die Kurve legen!
    Plötzlich spürte der Junge scharfe Fingernägel in der Taille, eine Hand. Die Hand gehörte zu einer Blondine, einen Kopf |57| größer als er, deren Gesichtshaut ihn an die Tücher erinnerte, mit denen seine Mutter die Möbel abgewischt hatte, gelbliche Haut, lappig und abgenutzt. Aber ihr Lächeln war schön – viel zu groß für diesen Raum und strahlend und hell. Es passte nicht zu ihrer routinierten Aufmachung. Der Junge verstand auf einmal, was ein entwaffnendes Lächeln war.
    Die Frau stellte sich vor. Sie hieß Moni, Dick hatte sie zu ihm geschickt, und während der Junge sie nur anstarrte, redete sie in einer kuriosen Mischung aus Englisch und Deutsch auf ihn ein. Diese Art von Englisch hatten sie hier alle aufgeschnappt, ein Durcheinander aus schlecht gelernten Floskeln und ordentlichen Erstlingssätzen aus Schulfibeln. Seit Englisch an den Schulen unterrichtet wurde, machte sich unter Erwachsenen eine Art Animiersprache breit, die die gelehrigen Mädchen auch auf Französisch beherrschten.
    Die Augen des Jungen waren auf gleicher Höhe mit den rot glänzenden Lippen der Frau, und die Lippen öffneten und schlossen sich, schnappten nach ihm, formten einen Kreis und schlossen sich, saugten ihn an und gaben ihn wieder frei. Der Mund war ausgemalt mit roter Farbe, und seine Ränder waren sorgsam konturiert. Das schafften die Mädchen hier mit Hilfe von Nadeln und dem Saft von Roter Bete. Der Junge schwankte ein bisschen. Moni legte ihm eine beringte Hand auf die Brust, wie um ihn zu stützen, und näherte dann ihre Lippen seinem linken Ohr. Er verstand sie nicht, aber das schien sie nicht weiter zu stören. Ohnehin war es viel zu laut zum Reden. Sie tranken gemeinsam weiter, Dick warf ihm aufmunternde Blicke zu.
    Die Musiker von
Dannys Banana Band
zogen sich inzwischen zurück, während schon andere ihren Platz einnahmen. Es waren ebenfalls Deutsche, kurios anzuschauen mit ihren Goldlamé-Blazern und dunkelroten Schleifen auf weißen Hemden – eine Kostümierung, die sie aus Vorkriegszeiten herübergerettet |58|

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