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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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und die Menschen rannten. Die |46| Menschen kamen in Bewegung. Überall krochen sie aus den Häusern und improvisierten Behausungen, aus den Kellerlöchern kletterten sie und schälten sich aus den Laubenkolonien und blinzelten in die Sonne. Das war der Tag, an dem Riccarda den Jungen gesehen hatte. Oder umgekehrt. Das war das erste Mal, sagte der Junge in seiner romantischen Art, wenn er darüber sprach. – An dem Tag hab ich ihn mir ausgesucht, behauptete Riccarda etwas weniger romantisch. Romantik war etwas für Sieger.
     
    Für sie war es ein beinahe normaler Tag gewesen, kein besonders guter noch dazu. Der französische Offizier, dem sie für ein paar Monate Seife, Zigaretten und Cognac zu verdanken hatten, war in die Heimat zurückversetzt worden, und plötzlich standen sie ohne da. Ohne Cognac und ohne Beschützer. Ohne einen alliierten Versorger. Der sie zwar gelegentlich spüren ließ, dass sie die Deutschen, die Bösen, die Kriegstreiber und nun die Verlierer waren, aber das kümmerte sie nicht weiter, solange der Rest stimmte.
    Und der Rest war in Ordnung. Der Offizier war ein gebildeter Mann, der ihr sogar einmal Theaterkarten besorgt hatte, in pädagogischer Absicht offenbar, und so hatten sich Riccarda und Renate gelangweilt, als sie im Hebbel-Theater ein Stück von Thornton Wilder anschauten:
Wir sind noch einmal davongekommen
, die Geschichte einer sonderbaren Urfamilie, die alles übersteht, Eiszeit, Sintflut und Weltkrieg, freilich nichts daraus lernt und so dazu verurteilt ist, das Ganze immer wieder zu wiederholen. So etwas kannten sie. Das war ihre eigene Wirklichkeit. Dafür brauchten sie keine teuren Theaterkarten.
    Wenn die beiden Schwestern ausgingen, dann wollten sie sich amüsieren, sie wollten vergessen. Die Schwestern hätten sich ein Musical ausgesucht oder eine Operette. Stundenlang |47| und vergeblich hatten sie einmal vor dem Kino Schlange gestanden, um Charlie Chaplin zu sehen. Lachen wollten sie, ja, lachen – und gern auch dafür bezahlen. Der Offizier war ein wenig ungehalten, als ihm Riccarda nicht viel von dem Stück erzählen konnte, in das er sie geschickt hatte. – Hättest ja mitgehen können, sagte sie patzig, und der Offizier schaute sie so erstaunt an, als hätte sie ihm vorgeschlagen, die Kommandantur zu überfallen. Nie ließ er sich mit ihr blicken, das hätte ihm geschadet, die Regeln der französischen Armee waren streng. Und nun war Jean fort, zurück zu Frau und Kindern, und so rigoros hatte er auf sie Acht gegeben, dass sie keine Gelegenheit gefunden hatte, sich rechtzeitig um einen Nachfolger zu kümmern. Die Übergangszeiten waren das Problem.
     
    Und dann war da dieser Lastwagen-Konvoi gewesen, mit den immer wie frisch gewaschen aussehenden Amerikanern. Anders als ihre Mutter mochte Riccarda die Amerikaner. Sie waren gut gelaunt. Sie nahmen es nicht so genau mit dem Marschieren und Grüßen. Gelegentlich sah man sie mit den Kindern spielen. An der Ecke Kolonnen-/Kaiser-Wilhelm-Strasse musste der Konvoi langsam fahren, und da machte sich Riccarda an ihrem Strumpf zu schaffen, ließ die Männer aber nicht aus den Augen. Und dabei trafen sich Riccardas Blicke und die des Jungen. Ein schöner Junge, ganz gewiss! Aber sicher noch keine zwanzig. Irgendwie slawisch, sehr klare Gesichtszüge mit hervorstehenden Wangenknochen, dunkle, alles beherrschende Augen – und eine braune Haarsträhne, die ihm ins Gesicht fiel und die er langsam zur Seite strich. Bei dem war sicher nicht viel zu holen. Ein einfacher Rekrut, kein Offizier, und viel zu jung, denkt Riccarda. Und dennoch: Es ist das erste Lächeln, das Riccarda Krampitz verschwendet. Und es ist das erste Mal, dass der amerikanische Soldat einem deutschen Mädchen nachschaut.
     
    |48| Von da an wartete Riccarda. Trieb sich immer wieder mal in der Gegend herum. Bereitete sich vor. Jedenfalls kam ihr das so vor. Ließ sich widerstandslos von der Mutter zum Friseur schicken. Ließ sich ein Stück Kohle mitgeben, damit der Friseur das Wasser heizen konnte. Ließ sich Seife mitgeben. Und ein Handtuch. Alles musste mitgebracht werden in diesen Tagen. Ricky hasste die Prozedur, die Stunden dauerte und nur machte, dass der Kopf kühl und leicht wurde – während man sich ansonsten jedoch umso schmutziger fühlte. Noch schwerer. Aber diesmal machte sie mit. Ließ sich schicken. Ließ sich kämmen und
richten.
Und wartete. Und auch der Junge wartete. Er war wie hypnotisiert. Lange dachte er, dass es dieses Mädchen war,

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