Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
Vom Netzwerk:
Scheibe. Die Scheibe beschlug. Riccarda wischte hastig mit dem Jackenärmel darüber, hielt inne, zögerte. Hielt das Glas stand? Renate lachte: Dummerchen!
    Da unten die Akazienstraße. Die üblichen Arbeitssuchenden schon unterwegs. Kippensammler. Frauen, die etwas zu tun hatten. Männer, die so taten, als ob. Der Mann mit der Aktentasche, zu der es schon lange keine Akten mehr gab. Einer, der immerzu fegte, wo noch hätte gegraben werden müssen und gehackt. Einer, der auf Ordnung hielt und die Kreuzungen kontrollierte, als brandete dort der Verkehr wie früher. Der Verkehr: ein Pritschenwagen. Ein paar Frauen mit Handkarren. Eine, die in einem nur noch dreirädrigen Kinderwagen ihre Habe transportierte. Doch vor Riccardas Augen das Glas. Und hinter dem Glas lag die Welt.
    Riccarda fand, dass so die Welt am schönsten war. Klar zu sehen, konturenscharf und genau. Aber die Gerüche waren verschwunden, die Klänge gedämpft. Kein Wetter spielte eine |79| Rolle, Regen nicht und nicht Wind. Immer hinter so einer Glasscheibe leben, das wär’ s doch! Wunderbar beschützt wäre man. Immer im Trocknen!, sagte Riccarda und kam sich selbst ein bisschen kindisch dabei vor. Renate zog sie am Ohr: So ein Leben in der Auslage, na, ich weiß nich   …
    Und zog die Schwester mit sich fort. In die Küche. Um den Tisch herum saßen die anderen und kauten und schwiegen. Sie schwiegen offenbar schon lange, es war ein eingerastetes, festes Schweigen, so etwas spürt man. Hier ging es nicht um die Fenster. Hier wurde nicht gefeiert. Auf dem Tisch stand die Schüssel mit dem verhassten Brotbrei. Ein wenig Fett war in der Wassersuppe aufgelöst, Thymian war darin gelöst. Wer die Pampe löffelte, konnte sich einbilden, verrührte Leberwurst zu essen. Brotbrei war ihr tägliches Frühstück, mal als Wurstersatz, mal mit Zimt als Erinnerung an Reisbrei. Die Erwachsenen aßen klaglos und hastig. Normalerweise wurde viel geredet bei den Mahlzeiten, immer gab es etwas zu berichten: Da und dort wurden Kartoffeln verkauft, hier und dort bot einer Arbeit für einen Tag. Aber heute schwiegen sie. Sie schwiegen, als hätten sie alle gemeinsam einen Schreck erlitten. Der Schrecken saß mit am Tisch und tauchte seinen Blechlöffel mit in die Suppe. Mit am Tisch saß der Vater. Riccarda blieb mit einem Ruck stehen, so dass Renate heftiger als beabsichtigt an ihrem Arm zog.
    Riccarda. Das war Mutter. Sie sagte als erste etwas. Sie wies auf einen freien Stuhl. Und fuhr fort: Willst du deinen Vater nicht begrüßen?
    Es war feierlich. Es war überflüssig. Siegfried Krampitz lebte ja schon seit Monaten gleich in der Nachbarschaft, bei seinem Bruder. Er war heimgekehrt, aber nicht da. Das schien jetzt anders werden zu sollen. Siegfried Krampitz war gestern vorbeigekommen und hatte geholfen, die Fenster einzubauen. Und da hatte Irmgard offensichtlich einen Entschluss gefasst. |80| Kein Mensch wusste, ob die Fenster dabei eine Rolle spielten oder nicht. Wer konnte schon in Irmgard hineinschauen! Fest stand jedenfalls: Kaum waren die ollen Pappen entfernt und das erste Glas eingesetzt, hatte Irmgard grübelnd in die Runde geschaut. Schließlich hatte sie aus dem Kasten unter ihrem Bett zwei Bierflaschen hervorgeholt und ihrem Mann eine davon angeboten, während sie selbst die zweite öffnete. Und dann hatten sie sich eine Weile angestarrt, die beiden, schluckend und trinkend, so, als würden zwei Ringer ihre Kräfte messen. So jedenfalls war es Renate vorgekommen, die atemlos dieses Elternschauspiel verfolgte. Und dann, so, als sei sie es plötzlich leid gewesen, hatte Irmgard den Bügel wieder auf die halbvolle Flasche gedrückt, mehrfach mit der Hand darübergestreichelt und schließlich achselzuckend gemeint: Na, warum eigentlich nicht, dann setz dich halt mal!
    Da war Renate gegangen, die die Spannung nicht mehr aushielt. Und Siegfried Krampitz hatte sich auf den angebotenen Stuhl gesetzt. Hatte wiederum geschwiegen und gewartet. Irmgard hatte ihn so genau angeschaut, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Und tatsächlich war diese Helligkeit, diese enorme Klarheit etwas Ungewohntes, etwas ganz und gar Unerhörtes. Was Irmgard da sah, konnte ihr aber unmöglich gefallen. Kein Mensch sah in diesen Zeiten bei hellem Tageslicht besser aus als bei Nacht. Irmgard hatte sogar behauptet, dass sich viele Paare nur deshalb wiederfanden, weil sie sich nicht richtig sehen konnten.
Zwielichtige Paare
– das bezog sich beileibe nicht nur auf solche unklarer

Weitere Kostenlose Bücher