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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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sich dafür eine ein. Er zuckte nicht einmal. Er war die Schläge so gewöhnt wie das Atmen. Marie beobachtete, wie Irmgard ihren Mann betrachtete. Zufrieden irgendwie. Wie jemand, der einen Entschluss gefasst hat und nun abwartet, was sich daraus ergibt. Keineswegs seiner Sache sicher, aber mit sich selbst im Reinen. Marie hasste Selbstgerechtigkeit jeder Art.
    Was wollte Irmgard mit diesem Kerl? Waren sie nicht all die Zeit, waren sie nicht die letzen anderthalb Jahre im Krieg und die noch einmal anderthalb seither glänzend ohne den Mann ausgekommen? Hatte Irmgard nicht selbst Geschmack gefunden an der neuen Unabhängigkeit? Und waren die Reibereien nicht unerträglich geworden, kaum, dass Krampitz aus der Gefangenschaft zurückgekehrt war und erst einmal den
Mann im Hause
gespielt hatte? Wie stolz war Marie auf Irmgard gewesen: Sie hatte den Eindringling Mores gelehrt. Dann hatte sie endlich Marie in ihr Bett gelassen. Und nun holte sie den Mann zurück. Duldete ihn jedenfalls in ihrer Nähe. Maries metallener Löffel schlug heftig an den Teller. Keiner kümmerte sich darum. Das mit den Tischsitten war lange her.
    Auch Irmgard kümmerte sich nicht um Marie. Ach, Marie, dachte sie, ach, Marie! Es erschütterte sie, dass die Menschen so leicht zu durchschauen waren. Jetzt noch mehr als früher. Eigentlich seit die Braunen regiert hatten. Sie hatten gemacht, dass den Menschen nach und nach der Anstand vom Leibe fiel. Wie Kleider, die einer zu lange getragen hat. Der Anstand wurde fadenscheinig, dann löchrig, dann total unbrauchbar. Was darunter zum Vorschein kam, war kläglich. |84| Dass sich jeder selbst der Nächste sei, wurde zum Lebensprinzip. Zum Lebensprinzip für die einen. Zum Todesprinzip für die anderen. Irmgard hatte mitgemacht. Und überlebt. Und als sie gar nicht mehr konnte, war Marie da gewesen. Marie hatte ihr Luft zum Atmen gegeben. Dann wäre ihr Marie beinahe geraubt worden. Das hatte sie nicht zulassen können. Sie wäre gestorben ohne Marie. Sie wären alle gestorben. Sie hatte keine Zeit zum Nachdenken gehabt. Sie hatte ihre Töchter preisgegeben. Ihre Töchter waren der Preis gewesen. Das vergaß sie keinen Augenblick, auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ.
    Ihr Blick aber blieb scharf. Irmgard sah die Gier bei den einen, die Angst bei den anderen. Rücksichtslos wurden alle. Rücksichtslos, raffgierig und gemein. Es gab Ausnahmen, sicher, aber Aufrichtigkeit und Mut waren Luxusgüter, sie hatten irgendwann auch etwas Lächerliches – wie Spitzenwäsche im Krieg. Irmgard hatte solche gekannt, solche mit Mut – und auch solche mit Spitzenwäsche. Zermalmt worden waren sie alle. Zermalmt im Krieg oder verraten und verkauft. Waren verhaftet worden, verschwanden, kamen gebrochen zurück oder gar nicht. Irmgard sah es und hatte beschlossen, auch das zu überleben. Sie und ihre beiden Töchter. Koste es, was es wolle, das sagte sie nicht, aber sie handelte danach. Ausgerechnet die Töchter hatte es gekostet, damit hatte sie nicht gerechnet.
    Eine Augenblicksentscheidung war das gewesen, eine Entscheidung für Marie. Die richtige Entscheidung und gleichzeitig die falsche. Eine Verbissenheit wuchs in ihr, eine Härte, ein Hass auf sich selbst. Marie streichelte ihn manchmal fort, den Hass, für ein paar Stunden. Wenn Marie sie streichelte, begann das Blut wieder in Irmgards Körper zu zirkulieren. Dann stockte es wieder. Dann wurde es kalt. Der Mann war im Krieg und würde für’s erste nicht zurückkommen, das war |85| gewiss. Der Mann hatte keine Ahnung. Er kam natürlich wieder, gelegentlich, auf ein paar Urlaubstage, aber das bestärkte Irmgard in ihrer Meinung: Er war wieder da, aber er war nicht zurück. Er sah nicht, was zu Hause vor sich ging. Er hatte keinen Blick dafür. Die Dinge, die er in Biala-Podlaska und in Posen gesehen hatte, all die Schrecklichkeiten des Krieges, ließen ihn nicht los. Arme und Beine bewegten sich in Berlin, schaufelten Kohle, als es noch welche gab, halfen Irmgard, die Lieferungen zu organisieren und den Verkauf – aber der Kopf und die Seele blieben in der Beresina, in Biala-Podlaska, in Byalistok. Irmgard kam es so vor, als sei ihr selbst sein Blick abhanden gekommen. Siegfried schaute sie ja nicht an, er schaute durch sie hindurch. Er schaute durch alles hindurch, durch Mauern, als seien sie bereits eingestürzt, durch Häuser, als hätten die Bomben sie längst vernichtet. Aber das kam erst noch.
    Die ersten großen Bombenangriffe auf Berlin erlebte

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