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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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Was sollen wir mit dem ganzen Plunder?, hatte Irmgard gemeint, als sie auf dem Schwarzmarkt Dutzende weißer Schaumlöffel billig erworben hatten. Schaumlöffel, ausgerechnet! Wo man die Einlagen in den armseligen Suppen doch mit der Lupe hätte suchen müssen. Aber sie hatten keine Wahl: Es gab Schaumlöffel, also kaufte man |88| Schaumlöffel. Plunder war das einzige, was der Markt noch zu bieten hatte, also bevorratete man sich mit Plunder. Marie dachte eine Weile nach, dann hielte sie zwei, drei der steifen, langen Löffel vor sich her: Wir bauen ein Mobile! Das hängen wir hinter die Türe! Dann hören wir gleich, wenn der Russe kommt!, sagte sie lachend.
    Und so bastelten sie, mitten im Krieg. Und Marie, die hinkte, der die Hüften wehtaten bei jedem Schritt, kletterte auf einen Stuhl und hängte das Mobile auf. Die Töchter tippten sich an die Stirne: Bisschen plemp-plem, was?! Aber bevor Irmgard sie noch zurechtweisen konnte, lachten sie auch.
    Der Russe
. Der machte ihnen allen Angst. Die Propaganda hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Und außerdem hatten die Männer, die an der Ostfront kämpften, bei ihren Heimaturlauben von dort erzählt. Von dem, was sie erlebt hatten. Von dem, was deutsche Soldaten dort angerichtet hatten. Nicht sie persönlich natürlich. Die anderen. Immer die anderen. Die Rache würde sie dennoch treffen, und sie würde nicht auf sich warten lassen. Die Rache würde fürchterlich sein. Auch Siegfried redete so. Schon lange sagte er nicht mehr ich, ich, ich, wenn er von der Front erzählte. Sein berühmtes STG 44, das Sturmgewehr, wurde zur Last, ein Panzer war eine Falle, eine Handgranate wurde zur Bedrohung ihres Trägers. Alles kehrte sich gegen sie. Sein Stolz, dass die deutsche Armee so rasch den Djnepr überquert hatte, verwandelte sich plötzlich in Panik. Was machten sie da? Er hatte vergessen, wozu sie stürmten. Wofür sie kämpften, hatte keine Bedeutung mehr. Aber sie machten weiter. Ohne Gedächtnis und ohne Besinnung. Er und die anderen. Immer die anderen.
    Die anderen hatten es
Hamsterfahrt
genannt, wenn sie in Russland auf Mädchen aus waren und streunend durch die Dörfer fuhren. Sie hatten aber nur ein Mädchen erwischt. Ein russisches Mädchen mit langen Zöpfen für zwölf deutsche |89| Soldaten! Es gab Fotos. Die anderen. Die hatten aus Zorn das ganze Dorf niedergebrannt und auf ein Schild geschrieben: Schön – hier wird geheizt! Das waren die anderen. Immer die anderen. Die anderen hatten auch den Kommissar aufgehängt, nur so,
am eigenen Balkon baumelt der Herr Kommissar.
Wieder so ein Schild. Und wieder so ein Foto. Siegfried hatte es Irmgard gezeigt, und Irmgard hatte auf seine Finger gestarrt, die Fingernägel, unter denen immer das Fett der Kohlen gesessen hatte, ganz fest hatte der Kohlendreck gesessen, und was war dort jetzt? Was klebte jetzt schwarz unter den Nägeln? Die anderen. Immer die anderen. Siegfried redete weiter, redete von weiteren Toten, von noch mehr Gräueln, und Irmgard hatte sich die Ohren zugehalten und gleichzeitig gehofft, dass Siegfried sagen würde: Ich. Ich war ’s. Dass sie ihn einmal anschauen und wissen könnte, was er tat. Sie wusste es ja nicht. Sie wusste nur, dass er ein Teil war. Ein Teil dieser mörderischen Maschine. Jedes Mal, wenn Siegfried nach Hause kam, sah er elender aus. Der Uniformrock schlotterte. Die Stiefelschäfte dünn und abgewetzt. Und der Geruch! Irmgard konnte seinen Geruch nicht ertragen, Siegfried brachte etwas Fremdes, Scharfes, Säuerliches mit. Es war, als klebte der Tod an ihm. Und noch ein schlimmeres Wort fiel ihr ein, ein älteres: Verderben. Instinktiv hielt Irmgard die Kinder ein wenig fern von ihrem Vater, und zum Glück hatte Siegfried kaum einen Blick für sie übrig. Wollte nur schlafen. Rührte kaum die Frau an. Schlang das bisschen Essen herunter, das Irmgard zubereitet hatte, und verschwand wieder.
    Dann aber war Marie da. Marie, die über den Flur kam mit ihrem weichen Hinken, wie eine ungleichmäßig tickende Uhr. Marie war warm und gut und eine Frau, schleppte in zwei schweren Eimern Wasser aus den überall angelegten Löschteichen herbei, als die Leitungen längst nichts mehr hergaben. Weinte, weil Bombensplitter ein paar Kinder neben |90| ihr getroffen hatten, als sie eilig einen Hof überquerten. Ließ sich trösten und tröstete selbst. Und roch nach nichts als Marie, nach dem gleichen Staub, nach dem Irmgard roch, nach demselben fauligen Wasser, mit dem auch Irmgard sich wusch.

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