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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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er nur als schlechte Nachricht von der Heimatfront. Irmgard erlebte sie als Verheerung, als Feuersturm, als Entsetzen. Wie sollte sie je über so etwas sprechen, so etwas mitteilen können? Und gleichzeitig dachte sie, dass der Mann das alles über sie gebracht hatte – nein, nicht
die Männer
, wie so viele Frauen voller Wut meinten, oder
unsere Männer
, wie einige Dummchen es immer noch sagten – für Irmgard war es
der
Mann gewesen, ihr Mann, Siegfried, mit dem idiotisch heldischen Namen, den sie hatte losziehen sehen, mit Helm und Gewehr. Wie stolz hatte er ihr seine Waffe gezeigt, die beste ihrer Art, damit würden sie es den Feinden zeigen, den Polen zuerst, dann den Franzmännern und selbst dem Russen.
    Die Russkis würden auch zurückweichen, würden sich ergeben, denn stark, viel zu stark sei der Ansturm der Deutschen. Sein Ansturm, Siegfrieds. Da war er es noch selbst gewesen, Siegfried, der Soldat. Und Irmgard hatte auf die Weltkarte |86| gestarrt, die Siegfried vor ihr ausgebreitet hatte, Siegfried war stolz auf seine Frau, die klug war und sich interessierte, und hatte sie durchaus eingeweiht in die Pläne des siegreichen Führers, aber Irmgard hatte auf die Karte geschaut und sich gefragt, wo sie denn alle hinsollten, die Feinde. Wohin sie sich denn zurückziehen sollten, wenn die Deutschen sie vor sich hertrieben. Wo war Schluss? An der Wolga, am Don, am Schwarzen Meer, am Pazifik?
    Irmgard wurde schwindlig, als sie verstand, dass die Deutschen im Begriff waren, die ganze Welt zu bedrängen. Dass die Deutschen zur Bedrängnis der Welt wurden. Und die Welt würde sich wehren. Die Welt würde sich sammeln und sich erheben, und dann käme die Bedrängnis über sie alle. Jedes Kind konnte das sehen. Nur der Mann sah das nicht ein. Ihr Mann, Siegfried Krampitz, der einst ein vernünftiger Kohlenhändler gewesen war und sein Auskommen hatte. Jetzt wurde er verrückt wie alle, und jedes Mal, wenn er nach Hause kam, brachte er mehr Bedrängnis mit wie einen Virus, wie die Pest. Irmgard behielt ihre Gedanken für sich, aber sie merkte, wie die Gedanken in ihr wuchsen, manchmal glaubte sie, sie ersticke daran, aber sie schwieg, wegen der Mädchen. Die Mädchen gingen vor. Die Mädchen konnten nichts dafür. Also schwieg Irmgard weiter und schluckte. Das ging so, bis der Krieg gänzlich Besitz von ihnen allen ergriffen hatte, bis der Feuersturm durch Berlin raste, bis Kreuzberg vernichtet wurde, Mitte geschleift und Zehntausende ihr Heim verloren in ein paar Nächten.
    Damals wurde Marie bei ihr einquartiert. Marie, die anders war. Die sofort sah, was in Irmgard vorging und eines Tages, beim Abspülen, nur scheinbar nach der zum Abtrocknen gereichten Schale griff, in Wahrheit aber nach Irmgards Hand. Irmgard schüttelte Marie ab, die Schale zerbrach, aber etwas wurde heil in Irmgard. Sie konnte es spüren. Sie spürte, dass |87| Marie sie verstand. Und Irmgard griff zu. Sie hielt Maries Hand, als die Engländer tagsüber Luftminen warfen und die Amerikaner ihre Brandbomben nachts. Sie hielt Maries Hand, wenn sie, die Mädchen vor sich hertreibend, Abend für Abend in den Keller flüchteten, da, wo schon die anderen Hausbewohner saßen, auf Koffern und Kisten aneinandergedrängt, und zitterten. Dass es vorbeiginge. Dass sie endlich doch ein Volltreffer erwischte. Sie wurde mit Marie zusammen hochgeschleudert und wieder abgesetzt vom Luftdruck einer Bombe, die das Nachbarhaus zerstörte. Sie hielt Maries Hand, als kaum noch Bomben fielen und dafür schwere Artillerie das Haus schüttelte. Als die Mauern vibrierten und das Jaulen der Stalinorgeln die Nerven zerfetzte. Sie ließ Maries Hand nur für einen Augenblick los, als Bernie, der zweite Sohn der Wegeners, unbedingt zum Volkssturm wollte, sich befreien wollte aus dem Keller und seine verzweifelte Mutter anschrie: Der Führer braucht mich jetzt, ich muss ihm helfen! Bernie war noch keine sechzehn, aber man konnte ihn nicht halten. Er stürzte aus dem Keller, den Stalinorgeln und seinem Führer entgegen, und wurde nicht mehr gesehen.
    Da weinten sie zusammen, auch Marie weinte. Marie war eine warmherzige Frau, der rasch die Tränen kamen, solche der Freude und die anderen auch. Bis dahin hatte Irmgard immer geglaubt, Frauen wie Marie hätten etwas Vierschrötiges, Suffragettenweiber, mit denen nicht gut Kirschen essen war. Aber Marie war nicht grob. Sie war eine Verletzliche, eine Fröhliche, die Irmgard mit kleinen albernen Einfällen zum Lachen brachte. –

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