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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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Und einmal, an einem herrlichen Abend, rochen sie beide nach demselben Lavendelwasser aus einem allerletzten Flakon, den Irmgard unter ihrer Wäsche in der Kommode versteckt hatte. Marie war das, was Irmgard noch blieb. Eine Freundin, ein Rest von Zuversicht.
Meine bessere Hälfte!,
dachte Irmgard einmal und erschrak.
    Irmgard spürte, dass sie Marie brauchte wie sie seit langem nichts gebraucht hatte auf der Welt. Und deshalb überließ sie den Russen die eigenen Töchter, nicht aber Marie. Es war eine Sekundenentscheidung gewesen. Eine Bruchteil-einer-Sekunde-Entscheidung. Nehmt diese! Die Freundin verschont! In den Nächten seither hatte Irmgard versucht, sich davon zu überzeugen, dass diese Entscheidung richtig gewesen war. Sie waren ja keine Unholde gewesen, diese Russen. Sie hatten die beiden Mädchen nicht gleich im Hausflur überfallen, wie es im Nachbarhaus zwei älteren Schwestern ergangen war. Sie hatten sie immerhin in die Wohnungen geführt und waren dann die ganze Nacht geblieben wie ganz normale Liebhaber. Grischa und Pjotr, so hießen die Kerle, hatten sogar Geld dagelassen, Geld, mit dem allerdings kein Mensch etwas anfangen konnte, und ein paar Tage später waren sie mit Geschenken zurückgekommen.
    Es hätte schlimmer kommen können für sie alle. Und die Mädchen hatten sich dreingefunden, wie sie sich in alles dreingefunden hatten. Vor allem Renate. Auf Renate konnte sie sich verlassen. Aus dem gleich Holz geschnitzt wie sie. Überhaupt Holz. Fest, aber elastisch. Machte nicht viel um sich her, das Mädchen. War aber da, wenn man es brauchte. Mit Riccarda verhielt es sich anders. Ricky.
    |91| Ricky wollte sie jetzt genannt werden. Damit sich die Amis nicht so schwer mit ihr taten? Irmgard fand, dass Riccarda es den Soldaten ein wenig zu leichtmachte neuerdings. Wenn man es ihnen zu leichtmachte, brachte es nichts ein. Und tatsächlich kehrte Riccarda mit leeren Händen zurück, wenn sie sich mit ihrem neuen Verehrer traf. Mit leeren Händen – aber mit leuchtenden Augen. Das gefiel Irmgard nicht. Ein Habenichts offensichtlich. Oder ein Geizhals. Irmgard seufzte und schöpfte mit dem Schaumlöffel ein paar Brocken Brot aus dem bräunlichen Brei. Aber auch Ricky würde überleben. Das spürte sie.
    Herrje noch eins!, sagte plötzlich ihr Mann in die Stille. Das ist ja ’n grässliches Zeug! Habt ihr nicht wenigstens ein bisschen Butter? Oder Marmelade?
    Butter! Die anderen starrten ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Gold war leichter zu beschaffen als gutes Fett in diesen Tagen. Wo war der Mann gewesen? Siegfried merkte es nicht: Riccarda! Renate! Nun macht schon! Holt euerm Vater was Vernünftiges zu essen, was Richtiges brauch ich jetzt zwischen den Zähnen!
    Die Mädchen schauten sich an, dann wandten sie den Blick zur Mutter. Als ob sie die Köpfe aus Sirup hoben, so zäh die Blicke. Bemerkte der Vater nicht, wie sie alle heruntergekommen waren? Dass sie Spezialistinnen darin geworden waren, aus Wasser und Essig, gemahlenem Malzkaffee, Salz und billigen Aromen eine Marmelade zu kochen? Dass ein Gebräu aus zusammengeklaubtem Getreide den Kaffee ersetzte? Dass alles Lug und Trug war: falscher Lachs und falscher Hase, falscher Honig und falsches Schabefleisch, falsche Grützwurst und falscher Bienenstich. Ein Leben ohne Würze, ein Muckefuck-Leben, ein Mist! In Renate und Ricky stieg eine Wut hoch. Aber die Mutter griff nicht ein. Sie schalt nicht, und sie machte keine ihrer scharfen Bemerkungen. Sie sagte nicht, |92| dass der Vater ein Dämelsack und den Männern ganz allgemein nicht zu helfen war. Sie legte, die Mädchen konnten es kaum glauben, dem Vater die Hand auf den Arm. Begütigend. Auf eine Weise fraulich, die sie seit Jahren nicht mehr an ihrer Mutter gesehen hatten. Was für eine Rolle spielte sie jetzt?! Marie stand mit einem Ruck auf, nahm ihren Teller und ging hinaus. Irmgard sah ihr nicht nach. Sie redete leise auf ihren Mann ein, der lächelte. Renate lief rot an. Ricky sah es genau. Die anderen begannen zu reden, als würden sie dafür bezahlt. Irmgard fing die Blicke ihrer Töchter auf, sie spürte die Ablehnung. Die dummen Dinger! Die begriffen nicht, dass sie das alles für sie tat. Sie brauchten die Ordnung. Sie brauchten, dass alles so würde wie früher. Irmgard wusste das. Sie selbst brauchte das nicht. Sie brauchte keinen Mann. Sie hatte nichts mehr empfunden für den Mann, für keinen. Sie hatte, jedes Mal, wenn Siegfried auf Fronturlaub nach Hause gekommen

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