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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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war, in sich hineingehört, aber da war immer weniger gewesen, nur etwas wie Pflichtgefühl, Gewohnheit, auch Müdigkeit. Er war ihr so gleichgültig geworden, dass es schmerzte.
    Aber nun war es anders. Es sollte anders sein. Das war die Folge eines Entschlusses. Es musste wieder anders werden! Es musste. Irmgard half ihrem Gefühl auf die Beine. Und dabei waren ihr die neuen Fenster nützlich. Das Licht fiel durch die Scheiben. Frühlingslicht, weißlich. Staubbahnen beschrieb das Licht, das Licht zeigte auf Ritze und Spalten. Was war die Wohnung heruntergekommen – obwohl immer noch heil. Sie hatten Glück gehabt, dass sie im ersten Hinterhaus wohnten. Das Vorderhaus war hin. Mitsamt dem schönen Nussbaum. Nicht an den Nussbaum denken! Obwohl: Die Traurigkeit machte sie weich.
    Und jetzt musste sie weich sein. Sie musste sich daran erinnern, wie das war, als sie
eine richtige Frau
gewesen war. Und |93| wirklich: Sie war über sich selbst ein bisschen erstaunt, denn Siegfried, abgemagert und vernachlässigt, ließ sie nicht mehr unberührt, wie er da ungelenk an ihrem Tisch saß. Vielleicht lag es an seiner Unsicherheit, vielleicht lag es am Licht oder an beidem. Irmgard sah jede Falte in seinem Gesicht, in die sich der Schmutz verfangen hatte. Irmgard schaute sehr genau hin. Auch das schmerzte. Aber es tat gleichzeitig gut. Was sie sah, konnte ihr nicht gefallen, aber Irmgard mochte das Unverfälschte. Sie hasste es, wenn ihr jemand etwas vormachte. Sie übte noch mehr Druck aus, wenn jemand versuchte zu blenden. Sie gab nach, wenn andere aufgaben. Dann konnte sie sogar großzügig sein.
    Wie hell es nun war! Immer schon hatte sie es gemocht. Ich lebe ab März, vorher existiere ich bloß!, hatte sie immer gesagt und war schon zu Ostern mit kurzärmeliger Bluse auf die Straße getreten. Meine Gegend, das ist das Helle!, hatte sie gesagt. Es war ein Witz, dass sie ausgerechnet einen Kohlehändler geheiratet hatte! Und im Hinterhaus gelandet war. Immerhin: das erste Hinterhaus. Und Schöneberg. Die Akazienstrasse war keine schlechte Adresse. Freilich: Sie hatte von Capri geträumt, ein Leben lang. Aber weiter als bis Hiddensee war sie nicht gekommen, dem Capri des Nordens   … Ihre Gedanken schweiften ab. Sie zwang sich, über ihren Mann nachzudenken. Das hatte sie lange nicht getan. Wie es weitergehen sollte. Sie dachte darüber nach, wie sie ihn wieder zum Arbeiten bringen könnte. Der Mann ist nicht für Träume da. Der Mann ist dafür da, dass man wieder in Frieden leben kann, nachdem er den Krieg gebracht hatte. Das ist er ihnen schuldig. Oder dass man wenigstens so lebt, wie es sich gehört. Dass alles seine Richtigkeit hat. Dass die Nachbarn Ruhe geben. Und nicht zuletzt die Mädchen.
    Mädchen werfen den Müttern immer vor, wenn die Väter fehlen. Sie hatte erlebt, wie die Töchter den Krieg überstanden. |94| Sie waren nicht untergegangen. Sie hatten überlebt. Aber sie hatten mitangesehen, wie alles ringsherum in Trümmer ging. Nicht nur die Häuser, Schulen, Fabriken und Straßen. Sondern auch die Familien. Und die Mädchen waren ins Taumeln geraten, beide. Wussten nicht mehr, was richtig und falsch war. Daran gab sich auch Irmgard die Schuld. Was wusste sie denn? Die Mädchen trugen bei zum Lebensunterhalt. Lieferten alles Geld ab, was ihnen ihre Franzmänner, die Engländer und Amerikaner einbrachten. Aber sie fingen an, nachzuplappern, was die ihnen vorsagten. Sie begannen, die Männer ernst zu nehmen. Riccarda vor allem. Die war immer auf Vatersuche gewesen. Seit Siegfried fort gewesen war, in Polen zuerst, dann in Frankreich und schließlich bei dem großen, vernichtenden Russlandfeldzug, war Riccarda langsam außer Kontrolle geraten. Aufsässig und weinerlich zugleich. Und jetzt war sie unruhig wie eine vernachlässigte Katze. Stundenlang ging sie allein durch die Straßen, ungeachtet der Gefahren. Irmgard ließ sich nicht weismachen, dass das immer nur auf der Suche nach einem neuen, spendablen Begleiter war. Riccarda suchte etwas anderes. Sie war ein Vaterkind gewesen. Immer schon.
    Als Siegfried noch seine Kohlenhandlung gehabt hatte, war Riccarda oft bei ihm gewesen im Kontor. Hatte auf seinen Knien gesessen, wenn er Rechnungen schrieb, und hatte, mit ihren drei oder vier Jahren, versucht, sich nützlich zu machen. Die Angestellten des Vaters hatten sich gelegentlich einen Spaß mit dem kleinen Mädchen erlaubt. Sie hatten Kohlensäcke auf einer Sackkarre gestapelt und Riccarda ganz oben

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