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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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die sich auf der Nachbarsfarm im Staub wälzten mit blutigen Lefzen. Die Schlangen glitten einfach aneinander vorbei.
    Daran dachte Chet, wenn seine Flagge gehisst wurde, obwohl die Sterne längst nicht mehr im Kreis standen, sondern ein lockeres Rechteck auf dem Streifengrund bildeten. Früher hatten die Sterne getanzt, jetzt waren sie angetreten, und man musste die Augen zusammenkneifen, damit sie sich wieder bewegten. Für einen Trompeter war das leicht. Man verzieh ihm, wenn er Gesichter schnitt, während bei den Soldaten sonst völlige Ungerührtheit das höchste Ziel war, Coolness, Lässigkeit.
    Chet war nicht uncool, aber wirklich großartig sah er mit |100| seiner Trompete aus. Wenn er sie spielte, aber eigentlich schon, sobald er sie in die Hand nahm. Wie machte der Junge das bloß?, fragte sich Dick, wenn er beobachtete, wie sein Freund das Instrument auspackte. Er tat das auf eine ganz bestimmte Weise, ruhig, konzentriert und zärtlich, dass ringsum das Geschwätz der anderen leiser wurde. Dass mancher, der ansonsten sein Saxophon oder sein Horn behandelte wie einen Schraubschlüssel oder ein anderes Werkzeug, verstohlen innehielt und ihm zusah. Denn Chet griff nicht einfach nach seiner Trompete, er
barg
sie aus dem Instrumentenkoffer. Er trug sie nicht herum, sondern
hielt
sie. Er bearbeitete sie nicht mit dem Putzlappen, sondern liebkoste sie mit der Ruhe eines geübten Liebhabers.
    An warmen Tagen zog er sein Hemd aus und arbeitete mit nacktem Oberkörper, vor dem Weiß seiner Haut hob sich der glänzende Goldton der Trompete ab. Das merkte Chet nicht. Das merkten die, die ihm zusahen. Manchmal, nachdem er die Trompete, eine alte
Constellation
, zusammengesetzt und das Mundstück ein letztes Mal gedreht und auf den entscheidenden Millimeter fixiert hatte, setzte er es keineswegs an, um seinen Klang zu prüfen und es allmählich zu erwärmen, sondern er hielt es einfach. Stand da, einen Fuß auf einen Stuhl gesetzt, die Trompete daraufgepflanzt wie ein Gewehr, seinen Kopf daraufgestützt, und hörte zu, wie die anderen Witze rissen oder von sagenhaften Auftritten erzählten. Manchmal saß er da, friedlich und irgendwie gleichgültig, wirkte dabei aufmerksam und gleichzeitig abwesend, und die Trompete lag golden und glänzend und aufreizend in seinem Schoß.
    Man wusste inzwischen, was er konnte. Man wusste, wozu dieser Siebzehnjährige in der Lage war, aber er zeigte es nicht. Gerade seine Zurückhaltung hatte etwas enorm Aufreizendes. Er unternahm nichts – und zog gerade dadurch die Blicke auf sich. Nicht er – beide. Chet und seine Trompete. Chet |101| und seine Geliebte!, dachte Dick ironisch. Und: Er posiert! Er tut so, als würde die ganze Zeit irgendein verdammter Fotograf vor ihm stehen und Bilder machen. Mitten in einer Bewegung stand Chet plötzlich still. Mitten in einem Gespräch verlor sich seine Aufmerksamkeit. Er schaute irgendwo hin, aber keinen an. Er fuhr sich mit einer Hand durch das dunkle, glänzende Haar, als wollte er ein Mädchen verführen.
    Und er verführte ja auch. Er verführt uns alle, dachte Dick hilflos, der noch nie dem Charme eines Mannes erlegen war. Chet verführte, wenn er so dastand – und er war unwiderstehlich, wenn er spielte. All das andere, das sich Zieren und Posieren, das scheinbare Träumen schien nur eine Vorbereitung auf das Eigentliche, das, was seinen Freund ausmachte: die Musik. Dick hatte keine Ahnung von Musik, er war ein hoffnungsloser musikalischer Analphabet, wie er das selbst nannte, und oft genug, wenn er in seinem Kino den Abspann eines Films einfach abwürgte, in dem er die Tonrolle abrupt anhielt, erntete er den Protest der sensibleren Kinobesucher.
    Dass es aber mit Chet etwas besonderes auf sich hatte, dass seine Musik etwas anderes war als die schmetternde Untermalung eines Westerns oder die schmachtenden Melodien der Liebesfilme, das spürte selbst Dick. Er spürte, dass es nicht so sehr daran lag, was Chet spielte, denn natürlich hatte auch er sich an das Repertoire der 298th Army Band zu halten – es war die Art, wie er spielte.
    Wenn Chet spielte, dachte Dick, dann war es so, als ob er redete. Und zwar so redete, wie er es in Wirklichkeit nie tat: ruhig und zugewandt, irgendwie besonnen – und zärtlich, dachte Dick. Und musste über seine Sentimentalität lachen. Wird dich noch mal zum Heulen bringen, dieser Typ! Dick versäumte keine Gelegenheit, ihn spielen zu hören. Deshalb entdeckte er plötzlich seine Neigung zu den Paraden

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