Die Geliebte des Trompeters
das rechte. Woher dieser plötzliche Frohsinn? fragte sich Irmgard. Sie beobachtete die beiden Töchter, die neben ihr standen, die Haare aufgedreht und über der Stirn zu Tollen eingedreht, die dunklen Taftkleider mit altem Tee gebürstet, dass sie glänzten. Die Mädchen wippten zur Musik mit den Füßen, wiegten sich in den Hüften – das war Musik zum Tanzen, nicht zum Marschieren, kein Aufruf zum Kampf, sondern das jubelnde Getöse von Männern, die sich ihres Triumphes gewiss waren.
Irmgard wunderte sich, dass eine siegreiche Armee etwas derart Kindliches an sich haben konnte. Ja, kindlich wirkten diese Burschen, obwohl sie alle in Kampfuniform angerückt waren, nicht ganz so kindlich allerdings wie der junge Bursche, mit dem sich Ricky neuerdings abgab. Das fehlte noch! So ein halbes Kind!
Auch Ricky dachte an den Jungen, Ricky dachte an Chet, aber, anders als Irmgard annahm, verlor sie sich durchaus nicht in Tagträumen. Da kannte Irmgard ihre jüngere Tochter schlecht. Ricky dachte über den Jungen, über ihren Chet nach, wie man über ein schwieriges Problem nachgrübelt. Er war drei Jahre jünger als sie, aber sie verstand ihn nicht. Sie war ihm in vielerlei Hinsicht voraus, aber dennoch war er überlegen.
|105| Er redete nicht viel. Sie wusste nicht, was er trieb. Er blieb ihr ein Rätsel. Ricky ertappte sich dabei, dass sie die Reihen der Soldaten absuchte, immer auf der Suche nach Chet. Er war jünger als die anderen und schmaler als die meisten seiner Kameraden. Er hatte lackschwarzes Haar und ein ungewöhnlich schön geschnittenes, zartes Gesicht, in dem kaum Bart wuchs, aber die Helme warfen Schatten auf die Gesichter, so dass sie kaum zu unterscheiden waren. Ricky stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte und streckte sich, bis der vor ihr stehende Mann sich umdrehte und sie scharf anblickte. Ricky gab es auf. Es war ohnehin nichts zu erkennen außer Uniformteilen: Beine, Arme, manchmal ein Paar Augen, ein Blick, der die Zuschauer streifte, aber nie war es Chet. Die Band spielte jetzt deutsche Schlager. Die Menge jubelte. Irmgard verdrehte die Augen.
Sein Blick war es wahrscheinlich gewesen, was sie so fasziniert hatte, dieser gleichzeitig konzentrierte und doch in sich versunkene Blick. Der Blick, als er ihr am Wannsee sein großes Handtuch umgehängt hatte, fürsorglich und gleichzeitig ein bisschen ängstlich. Als ob er nicht gewusst hätte, was dann kam. Kommen musste! Es lief ja doch immer auf das eine hinaus, und Ricky war inzwischen dazu übergegangen, diese ersten Schritte zu beschleunigen. Besser, man zeigte den Männern gleich, woran sie waren, dann zeigte sich auch schneller, mit wem man es diesmal zu tun hatte: Ob da einer nur auf ein Abenteuer aus war oder ob er gar einer von denen war, die nur mit einem deutschen Mädchen angeben wollten. Solche Männer protzten zwar gern vor den Kameraden mit ihren angeblichen Erfolgen bei deutschen Mädchen, aber wenn man mit ihnen allein war, erzählten sie plötzlich von ihren großartigen Ehefrauen in Denver oder Springfield und trauten sich nicht mal, richtig zu knutschen. Diese Männer |106| waren als Gefährten beliebt: Wie um die Mädchen dafür zu entschädigen, dass sie ihnen etwas vorenthielten – etwas, das alle Männer dieser Welt für ihr Bestes halten – zeigten sie sich gern besonders großzügig. Luden die Mädchen zu teuren Tanzvergnügen oder in eines der wenigen schon wieder existierenden Restaurants ein, besorgten Karten zum Pferderennen oder zum Boxen. Hauptsache, man wurde gesehen.
Ricky war klar, dass Chet kein solcher Mann sein konnte. Er war überhaupt noch kein richtiger Mann. Was wollte er also von ihr? An jenem Nachmittag am Wannsee hatte Ricky beschlossen, dass sie es herausfinden wollte. Sie hielt das blaue Handtuch mit dem geprägten Muster mit einer Hand über der Brust zusammen, mit der anderen führte sie den Jungen beiseite. Er schaute sich nach ihren Kleidern um, aber sie schüttelte den Kopf und ging voran. Das Unterholz hier war dicht und der Boden weich und moosig, und die Stimmen der vielen Wannseebesucher verloren sich allmählich hinter ihnen, wurden übertönt vom Rauschen der Bäume und vom Zischeln des Schilfs im flachen Wasser. Ricky liebte den Wannsee, und fast noch mehr liebte sie seine Ufer. Die Amerikaner hatten den Wannsee gegen Ende des Krieges in Beschlag genommen, eine Zeitlang durfte sich kein Deutscher dort aufhalten. Was die Berliner kolossal erzürnte, war gleichzeitig die
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