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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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Die Plattformen weggerissen, die Treppenaufgänge zerstört. Sie hielten einander bei der Hand. Sie wussten längst nicht mehr, wo sie waren. Sie gingen verloren.
    Sie gingen verloren in diesem undurchschaubaren Gewirr von Bahnen und Schienen. Chet atmete schwer. Er roch nach Whiskey und Fremdheit.
I’ ll take you home.
War das ein Lied?
    Ricky kam es so vor, als ob Chet leise summte. Ricky war müde. Sie lehnte ihren Kopf an seine Brust. Ihr war schwindelig. Es war heiß in der Bahn. Chet pustete ihr ein paar Schweißperlen aus dem Nacken. So hätte sie immer weiterfahren mögen. Immer weiter durch das Innere der Stadt. Bis sie irgendwo herauskämen, wo es hell wäre, wo die Sonne schiene und wo gut genährte Kinder im Sand spielten. Vor dem Strand kreuzten Segelboote. Ricky träumte. Sie träumte von einem Land, das sie nicht kannte. Sie träumte von Amerika.
    |138| Chet hielt ihre Hand. Er spürte, dass sie gleich einschlafen würde. Er stellte sich vor, dass er ihrem Vater die Hand geben würde. Die U-Bahn rumpelte zum Gotterbarmen. Sie waren jung. Sie waren tief unten. Sie waren mutterseelenallein.
     
    Über der Erde, ein paar Stationen weiter, in einem beschädigten Mietshaus, erster Hinterhof, in der Akazienstraße, knallte Siegfried Krampitz ein paar Beutel mit Lebensmitteln auf den Esstisch, dass seine Frau, die Wegener und Marie, die gerade Karten spielten, heftig zusammenzuckten. – Hier,
Roastbeef
! So heißt das bei denen! Und
Piri-Piri
! Schon mal gehört, ja?!?
Piri-Piri –
ihr werdet schon noch herausfinden, was das ist! Und ein scheißgelber Maissalat und Bohnen! Und ein paar Rinderknochen für ’ne Suppe, und Rippchen und
Mashed Potatoes
! Das habe ich alles für euch aus den Tonnen beim Amerikaner geholt! Piekfein ist das, was die wegschmeißen, in Tempelhof. Wahrscheinlich scheißen sie auch noch piekfein! Aber euch ist das ja egal, was ich den ganzen Tag mache! Euch kratzt es ja nicht!
    Die Frauen starrten fassungslos auf die Menge der Esswaren. Krampitz war noch nicht fertig: Und hier ist noch Butter oder so was Ähnliches, und das hier ist Ketchup, das kippen sie auf jedes Essen, und wenn euch das nicht passt, dann erstickt doch daran!
    Ihm ging die Luft aus. Er war seine eigene Wut nicht mehr gewöhnt. Die Wut hatte sich angestaut, seit er in der Tonne gewühlt hatte. Dabei war es gut, so eine Tonne zu finden, sie war geradezu ein Glücksfall, so eine Tonne, und Siegfried Krampitz hatte das durchaus zu schätzen gewusst.
    Den Inhalt hatte er im Dunklen nicht sehen können, nur Feuchtigkeit hatte er gefühlt und Wärme, und auch, dass die amerikanischen Köche ein paar Päckchen mehr als notwendig hineingelegt hatten, damit die Deutschen mehr finden |139| würden. Vielleicht war es das gewesen, was irgendwann seine Stimmung umkippen ließ: Sie waren barmherzig mit ihnen, sie meinten es gut, sogar, wenn sie ihren Müll entsorgten. Das musste man sich leisten können, diese Freundlichkeit! Und sie, die Wühlmäuse, die deutschen Müllwühler, waren froh. Gruben wie die Ratten im Dreck. So weit waren sie gekommen, die Helden! Er hatte plötzlich Soße an den Händen gespürt und Fett und jede Menge Undefinierbares. Und Wut und Ekel waren gewachsen bis eben. Und dann die Gesichter der Frauen. Ihre verdammte Ungerührtheit. Das gelassene Gesicht seiner Frau. Die Wegener, die alles wusste und niemals etwas sagte. Marie, das verdorbene Biest, das bei seiner Frau untergekrochen war. Und er, der keinen Platz hatte, nirgendwo, niemals – außer vielleicht in einer amerikanischen Mülltonne.
    Und damit war er aus der Tür und verzog sich ins Schlafzimmer. Er weinte. Das hörten die Frauen nicht. In der Küche war es eine Weile still.
    Kontra!, sagte Irmgard dann mit zitternder Stimme.
    Re, sagte Marie.
    Die Wegener zögerte: Kommt, wir räumen erst mal den Kram weg!, bestimmte sie dann. Sie verstauten die Lebensmittel, so gut es ging, schweigend. Die Wegener war von allen, was Wunder, die Ruhigste: Lass gut sein, Irmgard, der kriegt sich schon wieder ein!
     
    Was für ein Unterschied zu der Fahrt, die sie ein paar Tage später machten! Chet wartete an der Paulus-Kirche, die Mütze in den Händen, einen Sack über dem Arm. Wieder ging es mit der S-Bahn zum Wannsee. Aber sei es, dass sie schon genug Licht und Luft getankt hatten, sei es, dass die Vorfreude auf das, was sie erwartete, sie blind machte für all das Bedrohliche rings um sie her – heute war alles leicht und fröhlich, |140| und die

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