Die Geliebte des Trompeters
Fluchtbewegung setzte ein, Richtung Ausgang, wurde im Keim erstickt. Auch der Weg zu den Toiletten versperrt. Die meisten GIs trugen es mit Fassung. Einige setzten ein amtliches Gesicht auf, hakten ihre
Frauleins
unter: Diese Dame gehört zu mir! Diese Dame! Verächtliches polizeiliches Schnauben. Und, was sagen die Papiere? Dass die Dame noch keine einundzwanzig ist. Mitkommen! Hierher und mitkommen! Und die da und die da auch! Bei anderen wirkte der männliche Schutz. Die Geretteten hakten sich umso fester bei ihren Freunden ein. Schauten triumphierend in die Runde. Um Ricky kümmerte sich keiner.
Moni war eine derjenigen, die es erwischte. Und die am lautesten schrie. Sie wehrte sich mit Händen und Füßen. Sie rief nach Chet. Einige, die ihn kannten, drehten sich zu ihm um. Gehörten die beiden nicht zusammen?! War der Kleine nicht der Aufpasser für den großmäuligen Dick? Musste er nicht einschreiten? Herrgott, wie jämmerlich die Frau greinte! Aber Chet rührte sich nicht von der Stelle. Eine Art Lähmung hatte ihn ergriffen. Diese große, alles umfassende Gleichgültigkeit. Chet!, schrie Moni, Chettie!
Chettie! So hatte seine Mutter ihn gerufen. Darling! Baby! Und er hatte sich auch damals nicht gerührt. Hatte sich im Kleiderschrank versteckt gehalten, bis es vorbei war. Bis die Tür hinter dem tobenden Vater ins Schloss fiel und die Mutter auf allen vieren in ihr Schlafzimmer kroch. Oder in seines. Es war sinnlos. Er konnte nicht helfen. Er konnte niemanden beschützen. Er war nicht der, für den sie ihn halten wollten, die Frauen. Moni wurde weggeschleppt, er hörte ihr Protestgeheul, das in Weinen überging.
Von den Übriggebliebenen wich die böse Spannung nur |136| ganz langsam. Jemand legte eine Platte auf, die Nadel kratzte darüber, ein hässliches Poltern ließ alle zusammenzucken. Ein neuerlicher Versuch, diesmal klappte es. Die Besucher des Clubs lachten nervös, dann endlich beruhigten sie sich, nahmen die Gespräche wieder auf. Zum Tanzen fehlten ihnen jetzt die Mädchen, aber nicht zum Trinken. Eine Razzia, so etwas kam vor. Alle naselang. Und es war letztendlich besser, wenn die Behörden die Sache ein wenig im Griff behielten. Manch einer machte sich Sorgen, wenn er an seine Dorothy zu Hause dachte oder seine Winnie. Was, wenn er ihr ein Mitbringsel aus Germany anhängte, das gänzlich unwillkommen war?!
Chet wandte sich wieder zur Bar. Eigenartig, wie sehr Military Police und Mädchen aufeinander eingespielt waren. Die einen jagten. Die anderen wurden gejagt. Aber sobald die Jäger auftauchten, schien alles festgelegt. Es war ein Ritual, fast ein Tanz. Es war ein Gedanke, der beruhigen konnte. Chet dachte darüber nach, ob ihm das eingefallen war, weil die Militärpolizisten auffallende weiße Gamaschen über den Schuhen trugen – sie sahen beinahe aus wie die Söckchen der Mädchen. Und Moni? Sie würde nicht untergehen. Frauen wie Moni gingen niemals unter. Hoffte er. Das war das, was Dick an seiner Stelle jetzt sagen würde. Jesus, wenn doch Dick bei ihm wäre! Aller Groll gegen den Freund war verflogen. Chet nickte dem Kellner zu: Einen Gin – oder was immer sie hier als Gin verkauften. Er nahm einen großen Schluck. Er war dabei, seinen gesamten Sold für diesen Monat zu vertrinken, aber immer noch sah er alles mit ätzender Schärfe. Er wartete auf den Rausch, darauf, dass Menschen und Gegenstände verschwimmen würden, er wartete auf die große, erlösende Unklarheit. Ihm schräg gegenüber, halb verdeckt vom breiten Rücken eines amerikanischen Sergeants, entdeckte er ein blasses Gesicht mit hellen Augen – Ricky. Sie |137| starrte ihn an. Er erschrak zutiefst. Was machte sie hier, ohne ihn? Und im nächsten Augenblick der Gedanke: Sie hatte alles mitangesehen. Sein Versagen. Seine Untätigkeit. Er hatte nicht geholfen, und sie hatte es gesehen. Was sie beide verband, war die Scham.
Sie erwischten noch eine der letzten U-Bahnen , Ricky und Chet. Er bestand darauf, sie nach Hause zu begleiten. Immer wieder versuchte er es, und jedes Mal drang er ein bisschen weiter vor. In ihre Gegend. In ihre Straße. In ihre Welt. In der U-Bahn flackerte die Beleuchtung. Niemand außer ihnen im Wagen. Die U-Bahn -Waggons ratterten durch die Eingeweide der Stadt, bremsten abrupt vor den Kurven, beschleunigten langsam und widerwillig. Manchmal wurden die Wagen von herunterhängenden Kabeln gestreift, manchmal polterte ein Gleis gefährlich. Sie hielten an Bahnhöfen, die keine waren.
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