Die Geliebte des Trompeters
das offensichtlich nicht zum ersten Mal, sie waren ein eingespieltes Team, alle Spannungen der letzten Zeit waren wie weggeblasen. Ricky fragte sich wie so oft, womit Chet eigentlich seine Tage verbrachte. Dick war ohnehin sonnengebräunt, als käme er direkt aus den Ferien. Er grinste sie an.
Moni kramte eine Sonnenbrille hervor und verzog sich aufs Vordeck, Dick gesellte sich zu ihr. Sie schlug zum Spaß nach ihm, aber nach einer Weile gab sie es auf. Chet und Ricky hatten den hinteren Teil des Schiffes für sich. Sie schwiegen. Ricky schaute fasziniert an dem großen weißen Segel empor, das fest gespannt im Wind stand. Das Schiff nahm schnell Fahrt auf, und ein leises Rauschen setzte ein. Chet korrigierte gelegentlich den Kurs, er fuhr auf Sicht, denn den Kompass, der sich vor ihnen in einem hübschen Messinggehäuse drehte, würdigte er auf dem Binnensee keines Blickes. Er war sich seiner Sache sicher, er strahlte eine Ruhe und Souveränität aus, die Ricky anziehend fand, die sie überraschte. Plötzlich wirkte Chet wie ein Mann. Der Mann, der er vielleicht einmal werden konnte. Es war so ein Tag, an dem man solche Dinge dachte. Es war ein Tag der Aussichten. Das hatte sie gleich heute morgen gespürt. Es war der Sommer. Er machte leichtsinnig. |143| Plötzlich sah Ricky Möglichkeiten in Chet, Perspektiven. Da, wo Chettie herkam, da musste es sie geben. Amerika. Schon vorher hatte sie Hoffnung an dieses riesige unbekannte Amerika geknüpft, von Zeit zu Zeit rieb sie an der kugeligen Brandyflasche, die an die Weltausstellung erinnerte, als wäre sie Aladins Wunderlampe – noch nie aber hatte sie gedacht, dass es eine Möglichkeit mit Chet geben könnte. Er war so jung. Er war so unbedarft. Nun aber steuerte er mit der größten Selbstverständlichkeit ein Schiff.
Sie wusste nichts über ihn. Sie dachte, dass sie auch nichts über sein Land wusste, nichts über den Kontinent, in dem die Zukunft liegen musste. Andere Mädchen waren schlauer als sie gewesen. Schon Anfang des Jahres waren die ersten
Fräuleins
nach Amerika gegangen.
Als Verlobte grüßen …
Es war nicht leicht für diese Frauen. Eine Menge Behördenaufwand war zu bewältigen – und das Misstrauen der Landsleute zu ertragen. Die
Amibräute
waren nicht beliebt. Die machen sich dünne, hieß es. Die ließen ihre Heimat im Stich. Machten sich einen schönen Lenz, jetzt, wo beim Aufbau jede Hand gebraucht wurde. Die Amibräute wurden missgünstig beäugt. Während die tapferen Trümmerfrauen sich aufgeopfert hatten, waren sie nur auf das schnelle Vergnügen aus. Und: Was sollte denn besser sein in Amerika? Die tranken dort, so hörte man, nur Coca-Cola und hörten diese Negermusik. Und: Waren ihnen die deutschen Männer nicht gut genug? Erst schickten sie sie in den Krieg, dann, als sie müde und verletzt nach Haus kamen, ließen sie sie sitzen. Ausrangiert, ausgemustert. Jeden Tag gab es mehr deutsche Heimkehrer, Soldaten, die aus den Kriegsgefangenenlagern entlassen wurden, und jeden Tag durften mehr amerikanische, britische und französische Soldaten nach Hause zurückkehren. Das Bild wandelte sich, der Druck erhöhte sich.
Vor ein paar Wochen waren sie allein im Wannseebad |144| gewesen, Moni, Frau Wegener, Ricky und Renate, und da hatte Moni plötzlich die Klappstulle sinken lassen, die sie, man wusste nicht woher, organisiert hatte. Sie schaute sich mit einer Mischung aus Hohn und Abscheu um, und als Renate und Ricky fragten, was denn los sei, was sie denn habe, beschrieb sie mit der Stulle in der Hand stumm einen Kreis um sie herum. Die Stulle klappte auf, wie ein Maul, das etwas fressen will, und da sahen es die Schwestern: Überall im Wannseebad lagen die Kriegsversehrten, die jämmerlichen Heimkehrer, manche mit Kopfverbänden oder abenteuerlich verpflasterten Gesichtern, überaus viele jedoch, die einen Arm oder ein Bein verloren hatten und diese Stümpfe nun, hungrig nach Licht und Wärme, in die Sonne hielten. Es gab, so schien es, mehr Verwundete als Unversehrte, das Wannseebad glich einem Lazarett in Badehosen. Als hätte man die, die sich auf eine Untersuchung vorbereiteten, zum Warten auf einer Wiese abgelegt. Und jeden Tag kamen mehr.
Die Soldaten der Besatzungsarmeen dagegen wurden langsam abgezogen, ein paar tausend Amerikaner sollten es nur noch sein, zu wenige Heiratswillige für die deutschen Frauen, die wegwollten, einfach nur weg. Die Berliner Tageszeitungen zeigten die ersten, die unsicher, aber mit einem
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