Die Geliebte des Trompeters
unwahrscheinlichsten Sachen wurden denkbar. Sie wollten Segeln gehen, Chet hatte ihr klargemacht, dass er Zugriff auf die Boote des amerikanischen Offiziersclubs am Wannsee hatte. Segeln –
Sailing
, verstehst du? Er machte mit dem Arm eine weiche, gleitende Bewegung und ein Geräusch dazu, als striche Wind über Dünen. Chet war gut im Geräuschemachen. Ricky lachte und vergaß, dass sie noch nie in ihrem Leben auf einem Segelboot gewesen war und auch dass sie nicht schwimmen konnte. Komisch, dass sie Wasser so gern hatte und doch nicht schwimmen konnte!
Bis zum Wannseebad war es weit. Die Bahn war voll und heizte sich auf, und die Leute, die dicht an dicht standen, wurden gegeneinandergepresst und begannen zu schwitzen. Der Geruch nach Wolle und feuchtem Leinen. Ricky drückte ihren Beutel an sich. Darin war ihr improvisiertes Badezeug. Ein paar Bastschuhe von Renate, die wusste, dass man an Bord von Schiffen keine gewöhnlichen Straßenschuhe tragen durfte. Eine Badehose, ein Leibchen. Die Bahn rumpelte und quietschte in den Kurven. Manchmal machte sie urplötzlich einen Satz, dann taumelten die Leute und lachten. Chet wunderte sich über die ungewohnte Duldsamkeit. Er konnte nicht wissen, was die Wannseebahn für die Berliner bedeutete: Mit den geliebten rot-gelben Waggons, die aussahen wie die Konservendosen aus den P X-Läden , kehrte Mobilität zurück; plötzlich hatte Berlin wieder etwas Urbanes, konnte man von einem Kiez in den anderen fahren, ohne stundenlange Wanderungen auf sich zu nehmen. Plötzlich wurde es vorstellbar, aus der Ur-Zeit, in die sie der Krieg gebombt hatte, wieder aufzutauchen, aufzutauchen für zwanzig Pfennige je Fahrt in eine womöglich zivilere Welt. Voller Stolz zeigte Ricky Chet ihren
Taschenfahrplan
. Der war im Frühjahr herausgekommen. Gab es etwas Tröstlicheres als Fahrthinweise, Stundenpläne und Karten? Sie waren versessen darauf, alle.
|141| Die Bahn legte sich in die Kurve. Noch zwei Stationen, dann waren sie da. Ricky war so froh, dass sie hätte singen können. Chet neben ihr summte tatsächlich eine Melodie. Eine hübsche kleine Melodie. Seine Musikstimme gefiel ihr. Die Türen öffneten sich. Zeit zum Überlegen hatte sie nicht. Menschenmassen auch hier. Hunderte, die sich die Treppen hinauf- und hinabwälzten, Hunderte, die drängten und schoben.
Chet kannte sich aus. Der Bootsanleger der Amerikaner lag ein wenig abseits. Eine Wache hielt sie an, stellte ein paar Fragen. Chet antwortete knapp, militärisch. Ricky wurde ein wenig nervös. Sie hatte keine Papiere dabei, offiziell wurden Deutsche am Bootsanleger nur geduldet, wenn sie dort Arbeit hatten. Aber da rief schon jemand und winkte und strahlte, wie es nur einer vermochte: Dick.
Dick sah natürlich auch an Bord eines Schiffes genau richtig und passend aus. Der 20er Jollenkreuzer war zwar nicht elegant, aber ein solide gebautes Boot, durch den flachen Rumpf bestens geeignet für den Wannsee mit seinen Sandbänken und flachen Uferstreifen. Dick, stilecht in weißer Leinenhose und blauem Polohemd, half ihnen an Bord. Und da war auch Moni – mit einem Gesicht, als hätte sie zwei Jahre Festungshaft hinter sich, dabei war sie nur ein paar Stunden in Arrest gewesen, bis ihr weichherziger Gatte sie befreit hatte. Das Unangenehmste war, dass sie nun auf das Ergebnis des
Wassermanntests
zu warten hatte. Ricky wollte sie umarmen, aber Moni wehrte ab. Eine Zumutung für eine anständige Frau!, schnaubte sie – denn dass sie nicht geschlechtskrank sei, das war ihr klar wie Kloßbrühe. Sie doch nicht! Sie passte schließlich auf. Ließ sich nicht mit jedem ein. Ja, was dachte diese grobfingrige Polente denn, wer sie sei?!? Das alles erzählte sie Ricky gleich zur Begrüßung, mit Chet redete sie kein Wort, und auch mit Dick sprach sie nur das Nötigste. Er hätte |142| schließlich beizeiten auftauchen können im Club, dann wäre das ganze Schlamassel nicht passiert! Warum sie trotzdem seiner Einladung gefolgt war? Ricky konnte sich das nicht erklären.
Inzwischen hatten die Männer das Boot klargemacht. Leinen los! Chet stieß sie vorsichtig vom Steg ab. Und schon waren sie unterwegs. Ricky schwankte, legte ihren Beutel zur Seite und setzte sich eilig ins Achterdeck. Und dann staunte sie: Chet wusste offenbar, wie man ein Segelboot steuert! Er hielt die Pinne lässig in der Linken, während er mit der Rechten rauchte. Dick verstaute die leinenüberzogenen Fender, dann setzte er die Segel. Die beiden Männer machten
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