Die Geliebte des Trompeters
es, von derlei Geschichten nicht genug kriegen. Von manchen Beschwerlichkeiten war zu lesen, aber auch von Abenteuern. Da mussten die üblichen lästigen Papiere, Zeugnisse und Bescheinungen vorgelegt werden. Impfpässe, Unbedenklichkeitsbescheinigungen und natürlich – ein Pass. Es wurde von einem weiblichen Pechvogel berichtet, der alles glücklich zusammengebracht hatte und dann mit einem Flugzeug von |162| Osnabrück aus nach England reisen sollte. In der Luft öffnete sich jedoch die Klappe eines Notausstiegs, und mit dem Koffer der Reisenden verschwanden auch alle ihre Papiere. Wochenlang habe die Unglückliche in Internierung gesessen, wusste die Zeitung zu berichten, ein Wunder, dass ihr die Lust aufs Heiraten nicht vergangen sei!
Auch im Bekanntenkreis wurde geredet. Über die, die es schafften, und über die anderen auch. Einige der jungen Frauen erfuhren plötzlich, dass sie eine unbemerkte TB hatten, wieder andere erschienen politisch nicht einwandfrei. Eine junge Deutsche, noch nicht einundzwanzig, fälschte die Unterschrift ihrer Mutter unter der Einverständniserklärung zur Heirat und wurde erwischt. Man rätselte, was für eine Strafe sie treffen würde. Ein französischer Offizier, der seine deutsche
Fiancée
heiraten wollte, musste seine militärische Karriere aufgeben. Das Verblüffende war: Er tat es. Plötzlich hörten die deutschen Frauen von Männern, die ihr Gefühl verteidigten. Die ihr privates Glück über den beruflichen Erfolg stellten. Männer, die zur Liebe entschlossen waren. Das steigerte die Anziehungskraft der Alliierten noch weiter. Aber Ricky, obwohl noch keine zwanzig, blieb skeptisch. Nicht alle, die ein deutsches
Fraulein
reizvoll fanden, gehörten ja zu diesen Entschiedenen. Es gab auch die anderen, die in der Heimat gebunden waren, es gab die Abenteurer und die Wankelmütigen, es gab die, die sich nicht gesucht und trotzdem gefunden hatten. Frauen waren darunter, krank vor Heimweh nach ihren Männern und zermürbt von Sorgen, die sich nach einigem Zögern doch auf die Aufmerksamkeiten eines wohlerzogenen Captains einließen. Da waren die, die Hunger nach Brot und Hunger nach Trost litten, und solche, die den Alltag vergessen wollten für ein paar Stunden. Sie fanden sich, sie arrangierten sich. Es waren oft ungleiche Paare: der dicke Zivilangestellte der Militärbehörde, der in seinem Leben kein |163| Buch gelesen hatte, und die trockene Bibliothekarin. Die Tanzlehrerin und der Bienenzüchter. Der schwarze Colonel und die blonde Frau eines S S-Mannes , der bei Kriegsende auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Es waren unmögliche Lieben, aber sie waren möglich, für eine Zeit.
So sah das auch Ricky. So wollte sie es sehen. Der Junge war anziehend, und wenn das so weiterging, würde er selbst das Küssen noch lernen. Er war nicht bedrohlich. Er behielt niemals die Oberhand. Ricky liebte es, mit ihm zu segeln und zu schwimmen. Der Wannsee war ihr bevorzugtes Revier. Es war ihre Gegenwelt, ihr Gegenberlin. Wenn sie ankamen am Yachtclub und Chet oder Dick die Wachen mit ein paar Dollars bestochen hatten, ihre Mädchen bei der Hand nahmen und mit ihnen auf den Jollenkreuzer sprangen, dann vergaß Ricky alles, was hinter ihr lag. Dann legten sie ab, so schnell es ging, überstürzten die Manöver, holten die Leinen nicht ordentlich ein und rissen die Segel hoch, als sei jemand hinter ihnen her – um dann, wenn sie einigermaßen weit vom Ufer entfernt waren, die Kleider abzustreifen, im Wind zu stehen und ganz ruhig zu werden, ganz ruhig. Ricky war nie zuvor in ihrem Leben gesegelt, niemals hatte sie den Wannsee vom Wasser aus gesehen, und sie war verblüfft, wie groß und weit und offen er war. Sie befanden sich mitten in Berlin und gleichzeitig weit fort. Ricky spürte, wie sie eine Gänsehaut bekam – nicht allein von dem kühlen Wind, sondern weil sie ein Prickeln der Erwartung spürte, eine Aufbruchslust.
Meistens weckte Chet sie aus ihren Träumen, zeigte gebieterisch auf das Wasser oder sagte:
Come on!
Das bedeutete, dass er Schwimmen mit ihr üben wollte. Da kannte er kein Erbarmen. Und Ricky, die Ältere, die so viel Erfahrenere, genoss den Rollentausch und ließ sich treiben. Ließ sich führen und korrigieren, befolgte träge und ein bisschen nachlässig seine Anweisungen und bewunderte seinen nassen Körper, |164| der im Wasser geschmeidig wirkte, sehnig. Im Wasser hatte Chet etwas von einem jungen Delphin, und zu gern wäre Ricky mit ihm in eines dieser neuen
Weitere Kostenlose Bücher