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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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offensichtlich gleichgültig war, dass sie ihre Bluse ruinierte. Es war ein Augenblick der Verschwendung, der völligen Entspannung, der Eintracht. Ricky merkte nicht, dass sie beim Essen Laute ausstieß, Laute des Wohlbehagens, Grunzlaute, Stöhnen. Endlich war der erste Hunger gestillt. Beinahe erschöpft ließ Ricky sich auf die Knie fallen.
    Mein Gott! Kirschen! Stundenlang versuchte sie, Chet das schwierige Wort zu lehren: Kir-schen. Und lernte selbst:
Cher-ries
. Sie sprach es eher französisch aus: Chéries. Und das stimmte ja auch. Sie hängte ihm Kirschenpaare über die Ohren, imitierte Glockentöne: Bim-bam, bim-bam! – Und er wies respektlos auf das andere Glockenpaar, das in seiner Hose, das auch beachtet werden wollte.
    Einige Zeit später lagen sie beisammen unter dem jungen Baum. Ricky ausgestreckt auf Chets langem, dünnem Körper. Ricky redete leise in ihrer komischen kehligen Sprache auf ihn ein, wissend, das er kein Wort verstand, aber sie wollte, dass er stillhielt, denn sie war konzentriert bei der Sache: Ricky versuchte, Chet eine möglichst kleine Kirsche in die Lücke zwischen seinen Vorderzähnen zu schieben. Und wenn |160| dies gelungen war, küsste und saugte sie sie wieder heraus. Das war nicht einfach. Zähne und Zunge hatten viel zu tun. Und war die kleine Frucht erst einmal eingeklemmt, saugte sie manchmal nur das Fruchtfleisch heraus, während der Kern steckenblieb. Dann musste sie umso heftiger ziehen und küssen.
    Chet hatte sich anfangs gewehrt. Die Zahnlücke war ein äußerst heikler Punkt. Immer war es ihm gelungen, diesen Makel zu verbergen, und nun richtete Ricky alle Aufmerksamkeit darauf! Aber ihre Zunge kitzelte seine Lippen und seinen Gaumen, ihr Atem roch nach frischen Früchten und blies sanft über seine Nase, und als ihre Küsse fordernder wurden, spürte Chet, wie es in seinem Kopf zu rauschen begann. Was sollte er tun? Er ergab sich dieser seltsamen deutschen Behandlung. Sich hingeben, das konnte er. Und Ricky, seinen Kopf zwischen ihren Händen, freute sich über den Jungen, der stillhielt.
     
    Irgendwann in diesem Sommer hatte es angefangen. Im Juni. Vielleicht sogar schon Ende Mai: Da hätte man anfangen können, von
Chet und Ricky
zu sprechen. Da waren sie beinahe ein Paar. Der GI und sein Mädchen. Es gab viele solcher Paare in Berlin. Der GI und sein Mädchen war häufiger als der französische Offizier mit seiner Mademoiselle und der Brite mit seinem
Girlfriend
. Die Amerikaner waren unbedarfter als ihre Kollegen, offener, vielleicht lag es auch daran, dass sie nicht allzu lange blieben – das U S-Kommando tauschte die in Deutschland stationierten Soldaten häufiger aus als die anderen Alliierten. So behielten sie die Neugier und die Unbefangenheit, die Neugier und die Unbefangenheit des flüchtigen Besuchers, der weiß, dass er nichts riskiert, wenn er etwas riskiert. Die alten Hasen erzählten den Neulingen Wunderdinge von den deutschen Mädchen: Ursprünglich |161| seien die, nicht so anspruchsvoll wie die Amerikanerinnen, dankbar und irgendwie fraulicher. Die deutschen Frauen verhielten sich so, wie es die amerikanischen Soldaten noch von ihren Müttern und Großmüttern gewohnt waren, während die Frauen ihrer Generation gerade ihre eigene Stärke entdeckten, die Lust, einen eigenen Beruf zu ergreifen, ein eigenes Auto zu fahren. So besaßen die deutschen Frauen den Reiz des Exotischen – und sie rührten gleichzeitig an etwas zutiefst Vertrautes, Anheimelndes.
    Gemütlich
– das war ein Wort, das sie alle schnell lernten. Und auch, wenn damit eigentlich die deutschen Feste gemeint waren, die Art, eine Wohnung einzurichten, so traf dieses urdeutsche Wort doch auch auf die Frauen zu. Also mehrten sich schon in der zweiten Jahreshälfte 1946 die Fälle von Fraternisieren. Und aus dem Fraternisieren wurde immer öfter eine legalisierte Beziehung, ein Verlöbnis, eine Ehe. Ricky sammelte inzwischen die entsprechenden Artikel in den Tageszeitungen, sie wusste selbst nicht, warum.
Der Tagesspiegel
zeigte immer wieder Fotos junger Frauen mit Sonnenbrillen, die an Bord eines Schiffes in die unbekannte Neue Welt aufbrachen –
Kriegsbräute auf hoher See
war solch eine Reportage überschrieben, und Ricky dachte an das Segelboot der Amerikaner, das im Wannsee lag. Weiter würde sie es mit Chet vermutlich nicht bringen, dachte sie, und zum ersten Mal empfand sie Neid gegen die unbekannten Sonnenbrillenträgerinnen. Auch die anderen Berliner konnten, so schien

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