Die Geliebte des Trompeters
Gefahrenquellen natürlich die Mädchen. Sie nannten sie kurzerhand Veronikas, Veronikas für
veneral diseases,
und mögliche Veronikas waren aus alliierter Sicht Mädchen wie Ricky – und Ricky tat so, als wüsste sie nicht Bescheid. Es war verrückt! Es war dämlich! Renate hatte noch eine Weile getobt. Und dann hatten sie beide geheult, und Ricky hatte versprochen, es besser zu machen, und hatte es auch besser gemacht und erwachte langsam immer mehr aus dieser seltsamen Verträumtheit, in die sie der Junge mit seinem seltsamen Wesen gestürzt hatte und die sie sich beim besten Willen nicht leisten konnte – kein Mensch im besiegten Deutschland konnte sich 1947 Träume leisten, und schon gar keine Frau! Man konnte bloß Glück haben und in einen Soldatentraum passen. Für immer oder für einige Zeit. Für ein neues Leben in Amerika oder für ein paar Stunden auf hartem Grund in verlassenen Bunkern oder Ruinen. Sie hatte es nicht anders gewollt. Mit der Zeit betrachtete sie diesen Geliebten anders und verdämmerte mit ihm nicht mehr die Tage – sie dachte nach. Sie dachte: Es geht nicht. Es ist unmöglich. |167| Es hatte nicht nur etwas mit dem Alter zu tun, es lag an Chet. Es lag an dem, was sie faszinierte. Es lag an seiner seltsamen, doppelgesichtigen Persönlichkeit, daran, dass er anzog und abstieß. Chet war keiner, auf den man bauen konnte, das begriff sie, und das würde sich auch nicht ändern, wenn er älter würde. Chet war einer, der vorbeizog und den man ziehen lassen musste. Wie ein Wellenreiter, dachte Ricky. Einer, dem man hinterherschaut, und er merkt es nicht einmal. Es war ein neuer, seltsamer Schmerz, den sie empfand: Sie sehnte sich nach jemandem, der doch da war, der auf Armeslänge von ihr entfernt war, aber sie spürte, dass selbst, wenn sie ihn liebkoste, wenn sie ihn zwang, sie anzusehen, diese merkwürdige Distanz bleiben würde. Sie tranken. Sie tranken Bier, das Dick immer irgendwo auftrieb, und sie rauchten Lucky Strikes und Schwarze Hand, und wenn sich Chets Tabakrauch mit dem ihren vermischte, lächelten sie beide, aber der Trost verflüchtigte sich mit dem nächsten Zug aus der Zigarette.
Vielleicht übertrieb sie ja mit seinem Geheimnis, dachte sie dann wieder. Vielleicht lag es daran, versuchte sie sich zu trösten, dass sie nichts wusste. Sie hatte oft versucht, herauszufinden, was Chet eigentlich arbeitete, was genau seine Aufgaben waren, aber dazu reichte ihr Englisch nicht aus, und Chet hasste es, ausgefragt zu werden. Er machte ein paar vage Bemerkungen, deutete Liegestütze an und eine Geste, die sie zunächst für obszön hielt, bis sie begriff, was er meinte: Gewehrputzen. Aber es konnte doch nicht sein, dass er den ganzen Tag Sport trieb und ansonsten die Waffen reinigte! Natürlich wusste Ricky, dass Chet in der Army Band spielte, aber die paar albernen Märsche konnten doch den Tag nicht ausfüllen! Sie wusste von ihrem Vater, wie klein das Repertoire an Militärmusik war, das so eine durchschnittliche Kapelle zum Besten gab. So etwas lernte man schnell, das |168| hatte man schnell intus, wie der Vater nicht ohne Stolz sagte, das vergisste nich’, so wie Fahrradfahren!
Als Chet das Trompetespielen pantomimisch vorführte, zeigte sie ihm also einen Vogel: Du bist mir der Richtige!
Chet war beleidigt. Und Ricky kam sich veralbert vor. Sie fragte sich, was für eine geheimnisvolle Tätigkeit er wohl ausübte. Dick machte nicht so ein Aufhebens um sich. Er hatte Ricky einmal mitgenommen in sein Büro, das natürlich
office
hieß, eine Nummer hatte und ein Türschild mit seinem Namen, und stolz hatte er ihr den Vorführraum gezeigt, den improvisierten Kinosaal, die
library
, hinter der sich ein kleines Archiv verbarg, die Bar. Aber auch Dick zeigte sich zugeknöpft, wenn sie versuchte, nach Chet zu fragen. Die beiden waren Freunde, ganz klar, aber so eng, wie sie es bei ihren deutschen Freunden nie zuvor erlebt hatte.
Buddies
nannten sie das, Chet und Dick waren Buddies, und es gab etwas, das Ricky daran störte. Auf Dick konnte sie nicht zählen, wenn sie versuchte, herauszufinden, was Chet eigentlich trieb.
An diesem Tag brach sie eher auf als sonst, ein wenig verstimmt. Und als Chet sie nach Hause bringen wollte, lehnte sie ab. Sie musste nachdenken, sagte sie ihm. Das verstand er natürlich nicht. Er hätte es auch nicht begriffen, wenn er ihre schnell gesprochenen deutschen Wörter verstanden hätte. Ricky kam es auch nicht darauf an, verstanden zu werden. Sie
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