Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
Vom Netzwerk:
stiegen – in kürzester Entfernung zum amerikanischen Hauptquartier. Vorschriftsgemäß hatten sie die beiden Soldaten aufgehalten und die Militärpolizei benachrichtigt, und während sie gemeinsam auf die Ankunft eines Dolmetschers warteten, hatte Chet hinreichend Gelegenheit, die etwas fadenscheinige, gefleckte Bluse des russischen Soldaten, seine kläglich schief sitzende Mütze und die grob geschnittene Uniform seines Kameraden zu betrachten. Es waren Jungen, dünne Jungen in zu großen Uniformen. Sie waren todmüde und sternhagelvoll, und die Angst sprach aus ihren Gesichtern.
    Der diplomatische Zwischenfall wurde auf dem kleinen Dienstweg gelöst: Die vermeintliche Vorhut der sowjetischen Armee wurde umgehend in die nächste U-Bahn Richtung Osten platziert und verschwand winkend und sichtlich erleichtert.
    Trotzdem hatten sie einen Bericht verfassen müssen. Trotzdem |174| war der lächerliche Vorfall am nächsten Morgen Tagesgespräch. Und deshalb war es so leicht, sich einen Jeep zu organisieren.
    Sie hielten auf Kreuzberg zu, jenen Stadtteil, den es beim Kampf um Berlin besonders schlimm getroffen hatte. Diese Ruinenlandschaft sollte wieder eine Stadt werden? Wie die meisten glaubte Chet nicht daran. Sie hatten Filmteams hier ihre Schienen verlegen und ihre Lampen aufbauen sehen, und tatsächlich sah es so aus, als ob die ineinandergestürzten Häuser, die grotesk verzogenen Dächer, die geborstenen Mauern und bizarr in die Luft ragenden Röhren und Drähte allenfalls dafür geeignet waren: als Kinokulisse. Und doch wurde auch hier aufgeräumt. Entstanden Trümmerberge. Schoben Frauen verbissen schwer beladene Loren mit Schutt. Vielleicht war es deshalb abends in Kreuzberg besonders still: Die Menschen waren erschöpft. Willie aber wusste einen Weg. Er kannte da eine gewisse Adresse. Am Görlitzer Bahnhof vorbei und am Mariannenplatz um zwei, drei Ecken, dann waren sie da.
    Sie parkten den Jeep eine Straße weiter, kletterten über ein Trümmerfeld, umrundeten etwas, das einmal ein Haus gewesen sein musste. Die Hinterhäuser standen noch, aber es war so viel Schutt zwischen ihnen, dass sie einander näherzurücken schienen. Der ganze Häuserblock hatte sich verschoben, ineinander verkeilt wie eine verunglückte Eisenbahn. Willie fuchtelte mit seiner Taschenlampe herum: Los jetzt, weiter! Im Treppenhaus gab es natürlich kein Licht. Es roch nach Kohl und nach etwas Angebranntem. Ein Kind schrie. Und da war Musik. Noch ein paar Stiegen hinauf. Das Scharren vieler Schritte. Ein Flüstern. Ein Beseitegehen.
    Schuhe aus!, herrschte sie eine Frau an, und selbst Chet verstand: Die Geste war eindeutig. In der Wohnung herrschte ein ungeheures Gedränge, die Luft zum Zerschneiden, und |175| Chet hörte deutsche, englische und französische Satzfetzen. Fernando schob ihn weiter. Wer wohnte hier? Im Geschobenwerden entdeckte Chet eine Küche, eine Kammer und dann das Schlafzimmer. Auf dem großen Ehebett eine rosa Daunendecke, und auf der Daunendecke zwei halbwüchsige Mädchen. Sie knieten einander gegenüber und halfen sich beim Frisieren. Sie trugen seltsame Kostüme, aber da wurde er schon weitergegenötigt, in eine Art Wohnzimmer, wo sie die Herrin des Hauses in lautem, gerade angelerntem Englisch begrüßte. Er hatte keine Zeit, sich zu wundern. Gerade schaffte er es noch, sich einen Drink zu beschaffen –
Steinhäger
stand auf der Flasche, die ihm jemand reichte, da schaltete jemand das Grammophon ein, die Gäste rückten noch weiter zusammen, und die, die schon öfters hier gewesen waren, reckten kennerisch die Hälse.
    Und dann sah es auch Chet: Zur Musik von Rudi Schuricke tanzten die beiden Mädchen, die er eben noch im Schlafzimmer gesehen hatte. Aber was heißt schon tanzen, und was heißt schon Mädchen: Die beiden trugen eng anliegende Trikots, in die irgendjemand um den Busen herum kleine Löcher in Herzform geschnitten hatte. Die Herzen zogen sich mal in die Länge, mal in die Breite, sobald die beiden sich bewegten, und so gab es schon zur Begrüßung, als die beiden artig knicksten, den ersten donnernden Applaus. Sie verbeugten sich – Gejohle. Sie hoben die Arme über den Kopf wie Ballerinen   – Gelächter. Und dann verrenkten sich die beiden nach Kräften im Türrahmen zum Flur. Freilich war dort so wenig Platz, dass es eher nach der Dehnübung einer Schlangenturnergruppe aussah als nach einem Tanz. Auch waren die Mädchen zwar geübt, aber keineswegs ausgebildet. Sie nahmen das alles

Weitere Kostenlose Bücher