Die Geliehene Zeit
er. »Ein Affenbiß. Dieses widerliche, verlauste Vieh!« brach es aus ihm heraus. »Ich sagte ihr noch, sie solle ihn loswerden. Das Tier ist zweifellos krank!«
Ich holte meinen Medizinkasten und bestrich die Stelle dünn mit Enziansalbe. »Ich denke, Ihr müßt Euch keine Sorgen machen«, meinte ich, in meine Arbeit vertieft, »außer wenn der Affe tollwütig ist.«
»Tollwütig?« Der Prinz erbleichte sichtlich. »Halten Sie das für möglich?« Offenkundig hatte er keine Ahnung, was »tollwütig« bedeutete, wollte aber unter keinen Umständen irgend etwas damit zu tun haben.
»Möglich ist alles«, erklärte ich munter. Von seinem plötzlichen Auftauchen überrascht, kam mir erst in diesem Moment der Gedanke,
daß es auf lange Sicht allen eine Menge Arger ersparen würde, wenn dieser junge Mann infolge einer tödlichen Krankheit rasch und sanft entschlummern würde. Doch ich brachte es nicht über mich, ihm Wundbrand oder Tollwut an den Hals zu wünschen, und legte ihm einen ordentlichen, frischen Leinenverband an.
Er lächelte, verbeugte sich wieder und bedankte sich in einer netten Mixtur aus Französisch und Italienisch. Noch während er sich wortreich für seinen ungelegenen Besuch entschuldigte, schleppte ihn Jamie - nunmehr mit einem respektablen Kilt angetan - zu einem Drink nach unten.
Die Kälte drang durch meinen Morgenmantel und das Nachthemd, und so kroch ich wieder ins Bett und zog die Decken bis zum Kinn hoch. Das war also Prinz Charles! Jetzt war mir auch klar, warum man ihn »bonnie« - »hübsch« -nannte. Er wirkte ziemlich jung-wesentlich jünger als Jamie, obwohl Jamie nur ein oder zwei Jahre älter war als er. Tatsächlich hatte Seine Hoheit eine sehr gewinnende Art, dazu ein recht standesbewußtes und würdevolles Auftreten, ungeachtet seiner schlampigen Kleidung. Aber genügte das, um an der Spitze einer Streitmacht nach Schottland zurückzukehren und um die Krone zu fechten? Im Halbschlaf fragte ich mich noch, was der schottische Thronerbe eigentlich mitten in der Nacht auf den Dächern von Paris trieb, noch dazu mit einem Affenbiß an der Hand.
Die Frage beschäftigt mich immer noch, als ich etwas später von Jamie geweckt wurde, der ins Bett schlüpfte und seine großen eiskalten Füße gleich neben meine Knie plazierte.
»Schrei nicht so«, sagte er. »Du weckst ja noch die Diener auf.«
»Wieso zum Teufel läuft Charles Stuart mit einem Affen auf den Dächern herum?« wollte ich wissen, während ich von ihm wegrückte. »Nimm diese Eisklumpen da weg!«
»Er hat seine Geliebte besucht«, entgegnete Jamie lakonisch. »Ist ja gut - hör auf, mich zu treten.« Er zog seine Füße zurück und schloß mich zitternd in die Arme, als ich mich zu ihm drehte.
»Tatsächlich? Louise de la Tour?« Nach dem Kälteschock und in Erwartung einer Skandalgeschichte war ich plötzlich hellwach.
»Genau die«, Jamie nickte widerwillig. Unter den dichten, zusammengezogenen Augenbrauen wirkte seine Nase noch markanter und länger als sonst. Als schottischer Katholik fand er es anstößig,
wenn jemand eine Geliebte hatte, doch bekanntlich genoß der Adel in dieser Hinsicht gewisse Privilegien. Allerdings war die Princesse Louise de La Tour verheiratet. Und Adel hin oder her, eine Verheiratete zur Geliebten zu nehmen war schlichtweg unmoralisch, ungeachtet dessen, was sein Cousin Jared tat.
»Er sagt, daß er sie liebt«, berichtete Jamie knapp und zog sich die Decken über die Schultern. »Und daß sie ihn auch liebt; er behauptet, sie sei ihm während der letzten drei Monate treu gewesen. Pah!«
»Na ja, so etwas soll vorkommen«, entgegnete ich belustigt. »Dann hat er sie also besucht? Aber wie ist er denn auf das Dach gekommen? Hat er dir das erzählt?«
»Oh, aye, das hat er.«
Nach mehreren Gläsern von Jareds bestem Portwein hatte Charles sich als äußerst mitteilsam erwiesen. Ihre Liebe war, so Charles, an diesem Abend auf eine harte Probe gestellt worden, und zwar durch die Zuneigung, die seine Geliebte für ihr Haustier, einen reichlich übellaunigen Affen, empfand. Dieser erwiderte die Abneigung Seiner Hoheit und brachte sie auf recht konkrete Weise zum Ausdruck: Als Seine Hoheit vor der Nase des Affen spöttisch mit den Fingern schnippte, bekam er nicht nur dessen spitze Zähne zu spüren, sondern auch die ebenso spitze Zunge seiner Geliebten, die ihn mit bitteren Anschuldigungen überhäufte. Darauf folgte ein hitziger Streit, bis Louise Charles’ Gegenwart nicht mehr erdulden
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