Die Geliehene Zeit
bleiben schien mir plötzlich nicht mehr so erstrebenswert.
»Natürlich bedeutet es mir was! Für wie verantwortungslos hältst du mich eigentlich?«
»Verantwortungslos genug, um deinen Mann zu verlassen und dich mit Abschaum aus der Gosse abzugeben!« herrschte er mich an. »Wenn du’s genau wissen willst.« Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, so daß sie zu Berge standen.
»Dich verlassen? Was hat es mit Verlassen zu tun, wenn ich etwas Sinnvolles tun möchte, anstatt im Salon der d’Arbanvilles herumzugammeln? Und zuzugucken, wie sich Louise de Rohan mit Torten vollstopft? Und mir schlechte Gedichte und noch schlechtere Musik anzuhören? Nein, ich möchte mich nützlich machen!«
»Ist es dir nicht nützlich genug, den eigenen Haushalt zu versorgen? Und mit mir eine Ehe zu führen?« Sein Haarband riß, und ein dichter, flammendroter Lockenkranz umstand sein Gesicht. Er funkelte mich an wie ein Racheengel.
»Und wie steht’s mit dir?« fauchte ich zurück. »Ist dir die Ehe mit mir etwa Lebensinhalt genug? Mir ist jedenfalls noch nicht aufgefallen, daß du den ganzen Tag im Haus herumhängst und mich anhimmelst. Und was den Haushalt angeht, das ist doch Bockmist!«
»Bockmist? Was meinst du damit?« fragte er unwirsch.
»Blödsinn. Quatsch. Unsinn. Käse. Mit anderen Worten, das ist einfach lächerlich. Madame Vionnet kümmert sich doch um alles, und das kann sie zehnmal besser als ich!«
Dies war so offenkundig wahr, daß er einen Augenblick verstummte. Wütend starrte er mich an und knirschte mit den Zähnen.
»Ach ja? Und wenn ich dir verbiete hinzugehen?«
Das brachte mich einen Moment lang zum Schweigen. Ich richtete mich auf und musterte ihn von oben bis unten. Seine Augen hatten die Farbe von regennassem Schiefer, der breite, üppige Mund war nur ein Strich. Breitschultrig und aufrecht saß er da, die Arme vor der Brust verschränkt. Er wirkte bedrohlich und abstoßend.
»Heißt das, daß du es mir verbietest?«
Zwischen uns herrschte knisternde Spannung. Ich wollte blinzeln, ihm aber nicht die Genugtuung verschaffen und meinen eisernen Blick abwenden. Was würde ich tun, wenn er mir tatsächlich verbot hinzugehen?
Verschiedene Ideen schossen mir durch den Kopf - ihm den elfenbeinernen Brieföffner zwischen die Rippen rammen, ihm das Dach über dem Kopf anzünden... Die einzige Möglichkeit, die ich völlig ausschloß, war nachzugeben.
Er nahm einen tiefen Atemzug. Mit einiger Anstrengung entkrampfte er seine geballten Fäuste.
»Nein«, sagte er. »Ich verbiete es dir nicht.« Seine Stimme zitterte, als er versuchte, sich zu beherrschen. »Aber wenn ich dich darum bitte?«
Da senkte ich den Blick und starrte sein Spiegelbild in der polierten Tischplatte an. Anfangs war die Idee, im Hôpital des Anges zu arbeiten, nur ein interessanter Gedanke gewesen, eine reizvolle Alternative zu dem endlosen Tratsch und den kleinlichen Intrigen der Pariser Gesellschaft. Doch jetzt... jeder Muskel meiner Arme spannte sich an, als ich meinerseits die Fäuste ballte. Es war nicht nur ein Wunsch, dort zu arbeiten; es war mir ein Bedürfnis.
»Ich weiß nicht«, antwortete ich schließlich.
Er atmete tief durch.
»Willst du darüber nachdenken, Claire?« Ich spürte seinen Blick auf mir ruhen. Nach einer Zeit, die mir sehr lang schien, nickte ich.
»Ich werde darüber nachdenken.«
»Gut.« Seine Anspannung hatte nachgelassen. Er wandte sich ab, ging rastlos im Zimmer umher und nahm wahllos Gegenstände in die Hand, um sie danach wieder hinzustellen. Schließlich blieb er stehen, lehnte sich an das Bücherregal und betrachtete geistesabwesend
die ledergebundenen Werke. Zögernd trat ich auf ihn zu und legte eine Hand auf seinen Arm.
»Jamie, ich wollte dich nicht wütend machen.«
»Aye, nun, ich wollte auch nicht mit dir streiten, Sassenach. Ich bin wohl etwas reizbar und überempfindlich.« Er tätschelte entschuldigend meine Hand, dann ging er zum Schreibtisch und blickte darauf hinunter.
»Du hast einen harten Arbeitstag hinter dir«, sagte ich besänftigend.
»Das ist es nicht.« Kopfschüttelnd griff er nach dem Geschäftsbuch und blätterte es flüchtig durch.
»Der Weinhandel, der ist nicht das Problem. Es ist zwar eine Menge Arbeit, das schon. Aber es macht mir nichts aus. Es sind die anderen Angelegenheiten...« Er deutete auf einen kleinen Stapel Briefe, auf denen ein Briefbeschwerer aus Alabaster lag, der Jared gehörte und die Form einer weißen Rose hatte - das Wahrzeichen
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