Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
hinreißen.
    »Ja«, erwiderte ich und war froh, daß ihn dieser Gedanke von meiner eigenen Haarlosigkeit ablenkte. »Jedes einzelne Härchen. Madame Laserre hat sie teilweise einzeln ausgezupft.«
    »Heilige Maria!« Er schloß die Augen bei diesem Gedanken, entweder um ihn zu verdrängen oder ihn sich auszumalen.
    Offenbar letzteres. Denn als er die Augen wieder aufschlug, starrte er mich durchdringend an. »Dann läuft sie jetzt also wie ein kleines Mädel herum?«
    »Sie sagt, die Männer finden das erotisch«, antwortete ich delikat.

    Jamies Verwirrung war nun vollkommen.
    »Hör doch mit diesem gälischen Gebrabbel auf«, ermahnte ich ihn, als ich den Waschlappen zum Trocknen über eine Stuhllehne hängte. »Ich verstehe kein Wort.«
    »Das ist vielleicht auch ganz gut so«, bekannte er.

12
    L’Hôpital des Anges
    »Na schön«, meinte Jamie beim Frühstück und richtete drohend seinen Löffel auf mich. »Dann geh meinetwegen. Aber du nimmst Murtagh zum Geleit mit, und einen Lakaien; die Gegend um die Kathedrale ist ziemlich ärmlich.«
    »Geleit?« Kerzengerade saß ich da und schob die Schüssel Haferbrei weg, die ich lustlos beäugt hatte. »Jamie! Heißt das, es macht dir nichts aus, daß ich das Hôpital des Anges besuche?«
    »Ob es genau das heißt, weiß ich nicht«, antwortete er, während er geschäftig seinen Haferbrei in sich hineinlöffelte. »Aber wahrscheinlich würde es mir mehr ausmachen, wenn du nicht hingehen würdest. Und wenn du im Hôpital arbeitest, gibst du dich zumindest nicht ständig mit Louise de Rohan ab. Ich fürchte, es gibt Schlimmeres als den Umgang mit Bettlern und Verbrechern«, sagte er düster. »Jedenfalls rechne ich nicht damit, daß du mit ausgezupften Schamhaaren aus dem Spital heimkommst.«
    »Ich werde es zu vermeiden versuchen«, versicherte ich ihm.
     
    Ich hatte eine Menge guter Oberschwestern kennengelernt; für die Besten unter ihnen war die Arbeit zu einer echten Berufung geworden. Bei Mutter Hildegarde war dieser Vorgang genau umgekehrt verlaufen, und zwar mit beeindruckendem Ergebnis.
    Für eine Institution wie das Höpital des Anges war Hildegarde de Gascogne die beste Lehrerin, die man sich denken konnte. Gehüllt in ein langes, schwarzes Wollgewand, wachte die fast einsachtzig große, hagere Frau über ihre Pflegerinnen wie eine finstere Vogelscheuche über ein Kürbisfeld. Ihre imposante Erscheinung ließ Pförtner, Patienten, Schwestern, Pfleger, Novizinnen, Besucher und Apotheker durcheinanderschwirren, um sich nach Hildegardes Gutdünken zu ordentlichen Grüppchen zusammenzufinden.

    Bei dieser Größe und einem Gesicht von solcher Häßlichkeit, daß es auf groteske Weise schon wieder schön wirkte, war es nicht verwunderlich, daß sie sich dem religiösen Leben verschrieben hatte - Christus war wohl der einzige Mann, der sie je erwählen würde.
    Ihre tiefe, volltönende Stimme mit dem nasalen Gascogner Akzent hallte durch die Spitalflure wie das Echo der Kirchenglocken von nebenan. Ich konnte sie schon hören, bevor ich sie sah; die kräftige Stimme nahm an Lautstärke zu, als sie auf das Schreibzimmer zustrebte, wo sechs Hofdamen und ich uns hinter Herrn Gerstmann zusammenscharten wie Inselbewohner, die hinter einem dürftigen Schutzwall vor einem hereinbrechenden Wirbelsturm Zuflucht suchten.
    Mit wehenden Fledermausärmeln erschien sie in der schmalen Tür, dann stürzte sie sich mit einem entzückten Aufschrei auf Herrn Gerstmann und drückte ihm schmatzende Küsse auf beide Wangen.
    »Mon cher ami! Welch unverhofftes Vergnügen - und deshalb um so erfreulicher. Was führt Sie zu mir?«
    Während Herr Gerstmann unsere Mission erläuterte, bedachte sie uns andere mit einem breiten Lächeln. Doch auch einem schlechteren Beobachter als mir wäre aufgefallen, daß ihr Lächeln zusehends verkrampfter wirkte.
    »Wir wissen Ihre hochherzige Gesinnung und Ihren Edelmut zu schätzen, mesdames.« Die tiefe, glockenartige Stimme fuhr mit ihrer schönen Dankesrede fort. Unterdessen blickte sie mit ihren klugen, tiefliegenden Augen von einer zur anderen und überlegte, wie sie die Störenfriede möglichst rasch loswerden konnte - allerdings erst, nachdem sie die frommen Damen zu einer Geldspende zum Wohle ihres Seelenheils animiert hatte.
    Als sie ihre Entscheidung getroffen hatte, klatschte sie kurz in die Hände. Wie ein Schachtelteufelchen tauchte eine kleine Nonne an der Tür auf.
    »Schwester Angelique, seien Sie so gut und bringen Sie die Damen zur

Weitere Kostenlose Bücher