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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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in einer Zeile ein Anzahl Schriftzeichen in Fünfergruppen geschrieben standen. Darüber war eine zweite Reihe einzelner Lettern gesetzt.
    »Das heißt: Ein Buchstabe wird durch einen anderen ersetzt, ohne daß sich jedoch die Buchstabenfolge ändert«, erklärte Jamie. »Wenn also ein langer Text zu entschlüsseln ist, aus dem sich hin und wieder ein Wort erraten läßt, muß man ihn nur von einem Alphabet ins andere übertragen - verstanden?« Er wedelte mit dem langen Papierstreifen vor meiner Nase herum, auf den zwei Buchstabenreihen übereinander geschrieben waren.
    »Ja, mehr oder weniger«, sagte ich. »Ich nehme an, du weißt, wovon du sprichst, und darauf kommt es an. Was steht denn in dem Brief?«
    Das lebhafte Interesse, das Jamie bei der Entschlüsselung eines Rätsels stets an den Tag legte, schwand aus seinem Gesicht, und er senkte das Blatt. Mit zusammengekniffenen Lippen sah er mich an.
    »Es ist seltsam«, meinte er. »Und ich täusche mich gewiß nicht. In James’ Briefen schwingt fast immer der gleiche Ton mit. Und in dem verschlüsselten kommt es ganz deutlich zum Ausdruck.«
    Eindringlich sah er mich an. »James möchte, daß Charles Louis’ Anerkennung findet«, sagte er langsam, »aber er sucht keinerlei Unterstützung für eine Invasion Schottlands. Offensichtlich hat James kein Interesse daran, den Thron zu besteigen.«
    »Was?« Ich riß ihm das Bündel mit den Briefen aus der Hand und versuchte fieberhaft, die Schriftzüge zu entziffern.
    Jamie hatte recht. James’ Anhänger sprachen in ihren Briefen hoffnungsvoll von der Rückeroberung des Thrones, während James’ eigene Mitteilungen an seinen Sohn nicht einmal den leisesten Hinweis darauf enthielten; statt dessen sprach aus ihnen der Wunsch, Charles solle auf Louis einen guten Eindruck machen.
Selbst die Anleihe bei Manzetti aus Salerno galt allein dem Zweck, Charles das Auftreten eines Gentleman zu ermöglichen. Militärische Absichten steckten nicht dahinter.
    »Ich glaube, James ist ein schlauer Fuchs«, meinte Jamie und tippte auf einen der Briefe. »Weißt du, Sassenach, er selbst hat wenig Geld. Seine Frau war reich, aber laut Onkel Alex hat sie ihr gesamtes Vermögen der Kirche vermacht. Der Papst hat James immer unterstützt. Da James ein katholischer Monarch ist, muß der Papst seinen Interessen vor jenen des Hauses Hannover den Vorrang geben.«
    Er schlang die Hände um die Knie und betrachtete nachdenklich den Stapel Briefe, der zwischen uns lag.
    »Philipp von Spanien und Louis - ich meine den alten König Louis - statteten ihn vor dreißig Jahren mit ein paar Truppen und einer bescheidenen Flotte aus, mit deren Hilfe er versuchen sollte, den Thron zurückzuerobern. Aber das Unternehmen scheiterte. Einige Schiffe sanken bei einem Unwetter, anderen fehlte es an Lotsen, so daß sie am falschen Ort landeten. Nichts glückte, und schließlich segelten die Franzosen wieder zurück in die Heimat, ohne daß James auch nur den Fuß auf schottischen Boden gesetzt hatte. Vielleicht hat er deshalb jeden Gedanken an eine Rückeroberung des Thrones fallenlassen. Andererseits hat er zwei halberwachsene Söhne, die einem unsicheren Leben entgegensehen.
    Ich frage mich, Sassenach, was ich in einer solchen Situation tun würde. Wahrscheinlich würde ich versuchen, meinen guten Cousin Louis - schließlich ist er König von Frankreich - dazu zu bewegen, einem meiner Söhne eine gute Position zu geben. Zum Beispiel beim Militär, mit einer Anzahl von Männern unter seiner Befehlsgewalt. Die Stellung eines französischen Generals ist nicht die schlechteste.«
    »Das stimmt.« Ich nickte nachdenklich. »Aber als schlauer Fuchs würde ich nicht vor Louis hintreten und betteln wie ein armer Verwandter, sondern meinen Sohn nach Paris schicken und damit moralischen Druck auf den König ausüben, daß er ihn am Hof aufnimmt. Gleichzeitig würde ich jedermann in dem Glauben lassen, ich ließe nichts unversucht, den Thron zurückzuerobern.«
    »Denn sobald James offen zugibt, daß die Stuarts nie wieder in Schottland regieren werden«, fügte James leise hinzu, »verliert er für Louis jeden Wert.«

    Ohne die Drohung einer bewaffneten jakobitischen Invasion, die die Engländer beschäftigen würde, hätte Louis kaum noch einen Grund, seinem jungen Verwandten mehr als eine kümmerliche Apanage zu zahlen.
    Aber sicher war das alles noch nicht. Die Briefe, in deren Besitz Jamie gelangt war, reichten nicht weiter zurück als bis Januar, dem Zeitpunkt

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