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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Stunde ließ allmählich nach. Zärtlich tätschelte er meine Schulter. »Das konntest du doch nicht ahnen. Und ich auch nicht«, fügte er nachdenklich hinzu. »Er hat wohl befürchtet, ich würde ihn wieder zurück auf die Straße schicken... der
arme Kerl. Kein Wunder, daß er lieber Prügel in Kauf nehmen wollte.«
    Mit Schaudern erinnerte ich mich an die Straßen, durch die Monsieur Forez’ Kutsche gefahren war. Zerlumpte, kranke Bettler verteidigten hartnäckig ihren Platz und schliefen selbst in den kältesten Nächten auf dem Boden, damit ihnen kein Rivale ihr einträgliches Eckchen wegschnappen konnte; Kinder, noch kleiner als Fergus, flitzten wie hungrige Mäuse durch die Menschenmenge am Markt, stets auf der Suche nach Krumen, die für sie abfallen könnten. Und wer zu krank zum Arbeiten war oder zu häßlich, um sich in den Bordells zu verkaufen, oder einfach Pech hatte - der hatte in der Tat ein kurzes und freudloses Leben zu erwarten. Und Fergus hatte befürchtet, aus dem luxuriösen Leben mit drei Mahlzeiten am Tag und sauberen Kleidern in die dreckige Gosse zurückgestoßen zu werden. Da war es kein Wunder, daß ihn panische Schuldgefühle plagten, mochten sie auch noch so unbegründet sein.
    »Ja, das kann ich mir denken«, sagte ich. Inzwischen war ich dazu übergegangen, nicht mehr in großen Schlucken zu trinken, sondern nur noch vornehm zu nippen. Daß die Flasche bereits halb leer war, als ich sie zurückgab, nahm ich eher gleichgültig zur Kenntnis. »Hoffentlich hast du ihm nicht allzu weh getan.«
    »Na ja, er wird ein bißchen wund sein.« Wie so oft, wenn er viel getrunken hatte, sprach er mit starkem schottischen Akzent. Er schüttelte den Kopf, dann stellte er mit einem Blinzeln in die Flasche fest, wieviel noch übrig war. »Weißt du, Sassenach, bis heute abend war mir nie klar, wie schwierig es für meinen Vater gewesen sein muß, mich zu schlagen. Ich habe immer mich für den Hauptleidtragenden gehalten.« Nach einem weiteren Schluck stellte er die Flasche auf den Tisch und schaute mit starrem Blick ins Feuer. »Vater zu sein ist vielleicht gar nicht so einfach, wie ich gedacht habe. Darüber muß ich mal nachdenken.«
    »Na, aber denk nicht zuviel darüber nach«, meinte ich. »Du hast schon einiges getrunken.«
    »Ach, keine Bange«, erwiderte er fröhlich. »Im Schrank steht noch ’ne Flasche.«

15
    Notenschlüssel
    Nachdem wir die zweite Flasche entkorkt hatten, brüteten wir bis tief in die Nacht über den letzten der erbeuteten Briefe des Chevalier de St. George- auch bekannt als Seine Majestät James III- und den Schreiben der jakobitischen Anhänger an Prinz Charles.
    »Fergus hat ein ganzes Bündel erwischt, das für Seine Hoheit bestimmt war«, erklärte Jamie. »Es waren so viele Briefe, daß wir sie gar nicht schnell genug abschreiben konnten. Deshalb habe ich einige davon bis zum nächsten Raubzug zurückbehalten.«
    »Schau.« Er zog ein Blatt aus dem Stapel und legte es mir aufs Knie. »Die meisten Briefe sind verschlüsselt, so wie dieser hier: ›Wie ich höre, soll es in den Hügeln um Salerno genügend Hühner geben; die Jäger können also auf zahlreiche Trophäen hoffen.‹ Das ist leicht zu entziffern. Es bezieht sich auf Manzetti, den italienischen Bankier aus Salerno. Ich habe herausgefunden, daß Charles mit ihm zu Abend gegessen hat und ihn dazu bewegen konnte, ihm fünfzehntausend Livres zu leihen-James’ Ratschlag hat sich offensichtlich ausgezahlt. Hier jedoch...« Er blätterte in dem Haufen und zog ein weiteres Papier hervor.
    »Sieh dir das an.« Jamie reichte mir ein mit schiefen Zeichen bekritzeltes Blatt.
    Gehorsam warf ich einen Blick darauf, und es gelang mir, inmitten eines Geflechts von Pfeilen und Fragezeichen einzelne Buchstaben zu entziffern.
    »Welche Sprache ist das?« fragte ich. "Polnisch?« Schließlich war Charles Stuarts Mutter Klementine Polin, eine geborene Sobieski.
    »Nein, Englisch«, entgegnete Jamie grinsend. »Siehst du das nicht?«
    »Du etwa?«

    »Aber gewiß doch«, meinte er selbstgefällig. »Es ist ein Code, Sassenach, und zwar ein ziemlich einfacher. Man muß die Buchstaben zunächst in Fünfergruppen aufteilen. Das Q und das X dürfen dabei jedoch nicht mitgezählt werden. Das X markiert den Punkt zwischen zwei Sätzen, und ein Q soll einfach nur zusätzliche Verwirrung stiften.«
    »Wenn du meinst«, erwiderte ich und blickte von der verwirrenden Buchstabenfolge am Briefanfang auf das Blatt in Jamies Hand, auf dem

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