Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
sagte, das Gefühl hatte, daß die Damaszenerklinge lebendig geworden war, eine Verlängerung seines Arms. Jamie hatte gesagt, ohne das Schwert fühlte er sich nackt. Und diesem Kampf würde er sich gewiß nicht nackt stellen.
    Nein, wenn er das Schwert sofort gebraucht hätte, wäre er heimgekommen, um es zu holen. Ungeduldig fuhr ich mir durch die Haare und versuchte nachzudenken. Verdammt, wie lauteten die Spielregeln für ein Duell? Was kam, bevor man zu den Waffen griff? Die Forderung natürlich. Waren Jamies Worte auf dem Korridor bereits eine Forderung gewesen? Ich hatte die vage Vorstellung, daß man seinem Gegner Handschuhe ins Gesicht schlug, wußte aber nicht, ob das wirklich üblich war oder nur der Phantasie eines Regisseurs entsprungen.
    Dann dämmerte es mir. Erst forderte man den Gegner, dann wurde ein Ort vereinbart - er wurde mit Bedacht gewählt, um nicht die Aufmerksamkeit der Polizei oder der Königlichen Garde auf
sich zu ziehen. Und um den Ort zu vereinbaren, wurde ein Sekundant benötigt. Ah ja. Deshalb war er also verschwunden: um den Sekundanten zu suchen. Murtagh.
    Selbst wenn Jamie Murtagh noch vor Fergus fand, waren erst noch einige Formalitäten zu erledigen. Erleichtert atmete ich auf, obwohl mein Herz noch wie wild hämmerte und mein Mieder zu eng schien. Von den Dienstboten war niemand zu sehen; also löste ich die Schnüre und nahm einen tiefen, befreienden Atemzug.
    »Wenn ich gewußt hätte, daß du die Angewohnheit hast, dich auf der Diele auszuziehen, wäre ich im Salon geblieben«, sagte eine ironische Stimme mit unverkennbar schottischem Akzent hinter mir.
    Ich wirbelte herum - vor Schreck brachte ich kein Wort heraus. Der Mann, der den Türrahmen ausfüllte, war fast so groß wie Jamie, bewegte sich mit derselben kraftvollen Anmut, strahlte dieselbe kühle Selbstbeherrschung aus. Sein Haar war jedoch dunkel, und die tiefliegenden Augen schimmerten haselnußbraun. Dougal MacKenzie tauchte in diesem Haus auf, als hätte ich ihn durch meine Gedanken herbeigerufen. Wenn man den Teufel nennt...
    »Was um alles in der Welt machst du hier?« Der erste Schreck ebbte ab, wenn auch mein Herz noch pochte. Seit dem Frühstück hatte ich nichts gegessen, und plötzlich wurde mir ganz schwarz vor Augen. Er kam auf mich zu, nahm meinen Arm und zog mich zu einem Stuhl.
    »Setz dich Mädel«, sagte er. »Du fühlst dich nicht besonders, scheint mir.«
    »Sehr aufmerksam von dir«, entgegnete ich. Vor meinen Augen zuckten kleine Blitze, und am Rand meines Gesichtsfeldes tauchten schwarze Flecken auf. »Entschuldige«, sagte ich höflich und steckte den Kopf zwischen die Knie.
    Jamie. Frank. Randall. Dougal. Ich sah ihre Gesichter vor mir, ihre Namen klangen mir in den Ohren. Ich klemmte meine feuchten Hände unter die Achseln. Jamie würde sich dem Kampf mit Randall nicht sofort stellen; das war das einzige, was zählte. Mir blieb noch ein wenig Zeit zum Nachdenken, und ich konnte vorbeugende Maßnahmen ergreifen. Aber welche? Diese Frage überließ ich einstweilen meinem Unterbewußtsein, während ich mich zwang, gleichmäßig zu atmen, und mich den unmittelbar anstehenden Problemen zuwandte.

    »Noch einmal«, sagte ich, richtete mich auf und strich mir das Haar aus der Stirn, »was machst du hier?«
    Die dunklen Brauen zuckten.
    »Brauche ich einen Grund, um einen Verwandten zu besuchen?«
    Hinten im Hals schmeckte ich noch Galle, aber wenigstens zitterten meine Hände nun nicht mehr.
    »Unter den gegebenen Umständen, ja.« Ich straffte die Schultern, wobei ich die geöffneten Schnüre meines Mieders großzügig übersah, und griff nach der Weinbrandkaraffe. Doch Dougal kam mir zuvor, nahm ein Glas vom Tablett und schenkte mir ein, kaum mehr als einen Teelöffel voll. Doch ein nachdenklicher Blick in meine Richtung bewog ihn, die Dosis zu verdoppeln.
    »Danke«, sagte ich kühl.
    »Umstände, was? Und welche Umstände sollen das sein?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, füllte er ein zweites Glas für sich und brachte einen zwanglosen Toast aus: »Auf Seine Majestät!«
    Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. »König James, vermutlich?« Ich nippte an meinem Glas und spürte, wie mir das angenehme Aroma in die Nase stach. »Bedeutet deine Anwesenheit in Paris etwa, daß du Colum von deiner Denkungsart überzeugt hast?« Dougal MacKenzie mochte ja ein Jakobit sein, doch das Oberhaupt der MacKenzies von Leoch war sein Bruder Colum. Da seine Beine durch eine entstellende Krankheit

Weitere Kostenlose Bücher