Die Geliehene Zeit
Dann können Sie mich beim Vornamen nennen, denn es wird das letzte Wort sein, das je über Ihre Lippen kommt.«
Mit unerwarteter Heftigkeit fuhr Jamie herum, so daß sich sein weites Plaid blähte und ich Randall nicht mehr sehen konnte, als wir in den angrenzenden Flur abbogen.
Unsere Kutsche wartete am Tor. Ängstlich Jamies Blick ausweichend, stieg ich ein und beschäftigte mich damit, die Falten meines gelben Seidenrocks zu ordnen. Als der Wagenschlag zufiel, schreckte ich hoch, aber bevor ich den Griff packen konnte, fuhr die Kutsche ruckartig an, so daß ich in meinen Sitz zurückgeworfen wurde.
Fluchend rappelte ich mich wieder auf, kniete mich auf die Bank und spähte aus dem Rückfenster. Jamie war verschwunden. Nichts regte sich außer den schwankenden Schatten der Zypressen und Pappeln.
Verzweifelt hämmerte ich gegen das Wagendach, aber der Kutscher feuerte nur die Pferde an, noch schneller zu laufen. Um diese Zeit waren die Straßen kaum belebt, und wir polterten durch die engen Straßen, als wäre der Teufel hinter uns her.
Als wir in der Rue Tremoulins hielten, sprang ich, vor Angst und Wut bebend, aus der Kutsche.
»Warum haben Sie nicht angehalten?« fuhr ich den Kutscher an. Er zuckte die Achseln. Hoch oben auf seinem Kutschbock war er offenbar durch nichts zu erschüttern.
»Der Herr hat befohlen, Sie unverzüglich nach Hause zu fahren, Madame.« Mit seiner Peitsche berührte er sachte den Rücken des rechten Pferdes.
»Warten Sie!« rief ich. »Ich will zurück!« Aber er zog nur den Kopf ein wie eine Schildkröte und tat so, als hörte er mich nicht, während die Kutsche davonholperte.
In ohnmächtiger Wut wandte ich mich zum Eingang. Fergus kam mir entgegen und sah mich fragend an.
»Wo ist Murtagh?« herrschte ich ihn an. Denn unser Verwandter war der einzige Mensch, dem ich es zutraute, Jamie zu finden und aufzuhalten.
»Ich weiß nicht, Madame. Vielleicht da unten.« Der Junge wies in die Richtung der Rue Gamboge, wo es mehrere Tavernen gab, einige davon solide Gasthäuser, in denen auch ein Ehepaar auf Reisen einkehren konnte, andere Räuberhöhlen, die wohl nicht einmal ein bewaffneter Mann gern allein betrat.
Ich legte meine Hand auf Fergus’ Schulter, um Halt zu finden und um meinen Worten Nachdruck zu verleihen.
»Lauf und hol ihn, Fergus. So schnell du kannst!«
Erschreckt durch meinen Tonfall, sprang Fergus die Treppe hinunter und war verschwunden, noch bevor ich sagen konnte: »Sei vorsichtig!« Aber schließlich kannte er sich im Armeleute- und Verbrechermilieu von Paris besser aus als ich. Niemand war eher geeignet, sich durch eine überfüllte Taverne zu schlängeln, als ein ehemaliger Taschendieb. Zumindest hoffte ich, daß er dieser Beschäftigung nun nicht mehr nachging.
Aber im Augenblick verdrängte eine Sorge alle anderen Überlegungen, und die Befürchtung, man könnte Fergus erwischen und für seine Untaten hängen, verblaßte neben der Vorstellung, die Jamies letzte Worte an Randall in mir heraufbeschworen hatten.
Gewiß war Jamie nicht ins Haus des Herzogs zurückgekehrt, oder? Nein, beruhigte ich mich. Er hatte kein Schwert bei sich. Was immer er auch empfinden mochte - und mein Herz wurde schwer bei diesem Gedanken -, er würde nicht überstürzt handeln. Ich hatte ihn schon im Kampf beobachtet - sein Verstand arbeitete stets mit eiserner Ruhe, losgelöst von den Gefühlen, die sein Urteilsvermögen trüben könnten. Schon allein deshalb würde er sich an die Regeln halten. Er würde die strengen Vorschriften beachten, die einen Ehrenhandel regelten - daran konnte er sich festhalten, wenn ihn der Ansturm der Gefühle und der maßlose Durst nach Blut und Rache mit sich fortzureißen drohten.
In der Halle blieb ich stehen, legte mechanisch meinen Mantel ab und blickte in den Spiegel, um mein Haar zu ordnen. Denk nach Beauchamp, beschwor ich stumm mein bleiches Spiegelbild. Wenn er sich duelliert, was braucht er als erstes?
Ein Schwert? Nein, das war es nicht. Seines hing oben an der Garderobe. Zwar konnte er sich leicht eines leihen, aber es war unvorstellbar, daß er das wichtigste Duell seines Lebens mit einem anderen als seinem eigenen Schwert austrug. Sein Onkel, Dougal MacKenzie, hatte es ihm mit siebzehn geschenkt, seine Kampfausbildung überwacht und ihm die Tricks und die Vorteile gezeigt, die einem linkshändigen Schwertkämpfer mit dieser Waffe zugute kamen. Dougal hatte stundenlang mit ihm links gegen links geübt, bis er, wie Jamie
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