Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
verkrüppelt waren, konnte Colum seinen Clan nicht länger in die Schlacht führen; Dougal war der Kriegsherr. Aber die Entscheidung, ob sie in die Schlacht zogen, oblag Colum.
    Dougal ignorierte die Frage. Nachdem er sein Glas geleert hatte, bediente er sich ein zweites Mal. Genüßlich ließ er den ersten Schluck auf der Zunge zergehen und leckte sich die Lippen.
    »Nicht schlecht«, meinte er. »Davon muß ich Colum etwas mitbringen. Damit er nachts schlafen kann, braucht er etwas Stärkeres als Wein.«
    Tatsächlich war das eine indirekte Antwort auf meine Frage. Colums Zustand verschlechterte sich also. Da ihm die Krankheit, die seinen Körper zerstörte, stets Schmerzen bereitete, hatte Colum abends immer Dessertwein getrunken, um besser schlafen zu können. Inzwischen brauchte er schon Weinbrand. Ich fragte mich, wie lange es dauerte, bis er gezwungen sein würde, auf Opium zurückzugreifen.

    Wenn er das tat, war sein Ende als Oberhaupt des Clans gekommen. Seiner körperlichen Kräfte beraubt, regierte er durch schiere Charakterstärke. Doch wenn Colums Verstand durch Schmerzen und Drogen getrübt würde, dann bekam der Clan einen neuen Anführer - Dougal.
    Ich betrachtete ihn über den Rand meines Glases hinweg. Er hielt meinem Blick ohne Anzeichen von Verlegenheit stand, und ein leichtes Lächeln umspielte den breiten MacKenzie-Mund. Seine Züge glichen denen seines Bruders - und seines Neffen: hohe Wangenknochen, die Nase lang und gerade wie eine Klinge, ein Gesicht, aus dem Stärke und Kühnheit sprachen.
    Als Achtzehnjähriger hatte Dougal seinem Bruder die Treue geschworen, und diesen Eid hatte er dreißig Jahre lang gehalten. Und er würde ihn weiter halten, das wußte ich, bis zu dem Tag, an dem Colum starb oder den Clan nicht länger führen konnte. Und an diesem Tag würde Dougal Colums Nachfolge als Clanoberhaupt antreten, und die Männer des MacKenzie-Clans würden ihm folgen, wohin er sie führte-unter dem Schrägkreuz Schottlands, unter dem Banner von König James, in vorderster Reihe für Bonnie Prince Charles.
    »Umstände?« sagte ich, seine vorherige Frage aufgreifend. »Ich glaube nicht, daß es besonders geschmackvoll ist, einem Mann einen Besuch abzustatten, den du für tot abgeschrieben und dessen Frau du zu verführen versucht hast.«
    Er lachte - von einem Dougal MacKenzie war nichts anderes zu erwarten. Ich wußte nicht recht, wodurch man den Mann aus der Fassung bringen konnte, aber ich hoffte von ganzem Herzen, ich würde dabei sein, wenn es eines Tages doch passierte.
    »Verführen?« meinte er amüsiert. »Ich habe dir die Ehe angetragen.«
    »Du hast mir angetragen, mich zu vergewaltigen, soweit ich mich erinnere«, schnauzte ich ihn an. Tatsächlich hatte er mir im vergangenen Winter - unter Gewaltandrohung - einen Heiratsantrag gemacht, nachdem er es abgelehnt hatte, mir bei Jamies Befreiung aus dem Wentworth-Gefängnis zu helfen. Sein Hauptbeweggrund war zweifellos, Jamies Gut Lallybroch - das ich nach Jamies Tod erben würde - an sich zu bringen, aber er hätte auch nichts dagegen gehabt, regelmäßig mein Lager zu teilen.
    »Und was Jamies Befreiung aus dem Gefängnis angeht«, fuhr er
fort, meine Bemerkung wie üblich ignorierend, »es schien aussichtslos, ihn herauszuholen. Es hätte keinen Sinn gehabt, gute Männer bei einem sinnlosen Versuch aufs Spiel zu setzen. Er wäre der erste gewesen, der das verstanden hätte. Und als sein Verwandter war es meine Pflicht, seiner Frau im Falle seines Todes meinen Schutz anzubieten. Ich war schließlich sein Pflegevater, oder?« Er leerte sein Glas mit einem Zug.
    Auch ich nahm eine Stärkung und trank schnell, damit ich mich nicht verschluckte. Der Alkohol brannte mir in Hals und Speiseröhre, und die Hitze stieg mir ins Gesicht. Dougal hatte recht. Jamie hatte ihm keine Vorhaltungen gemacht, weil er nicht in das Wentworth-Gefängnis hatte einbrechen wollen- aber auch von mir hatte er es nicht erwartet. Und gelungen war es mir nur durch ein Wunder. Anschließend hatte ich Jamie zwar von Dougals Heiratsabsichten erzählt, aber nicht durchblicken lassen, daß hinter seinem Angebot auch fleischliche Gelüste standen. Denn schließlich hatte ich nicht damit gerechnet, Dougal MacKenzie jemals wiederzusehen.
    Aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen wußte ich, daß er ein Mann war, der günstige Gelegenheiten beim Schopf packte. Als Jamies Hinrichtung bevorstand, hatte er nicht einmal die Vollstrekkung des Urteils abgewartet, bevor er

Weitere Kostenlose Bücher