Die Geliehene Zeit
Schließlich trat ich vor ihn hin. Er nahm mich um die Taille, zog mich an sich und vergrub seinen Kopf in meinem Nachthemd, genau über der Rundung des ungeborenen Kindes.
»Mir ist kalt«, sagte ich schließlich behutsam. »Kommst du zu mir und wärmst mich?«
Nach einer Weile nickte er und erhob sich taumelnd wie ein
Blinder. Ich führte ihn zum Bett. Widerstandslos ließ er sich ausziehen und zudecken. Ich lag in seiner Armbeuge, eng an ihn gepreßt, bis die Kälte von ihm gewichen war und sich Wärme um uns ausbreitete.
Zögernd legte ich die Hand auf seine Brust und streichelte sie sanft, bis sich die Brustwarze erregt aufrichtete. Er legte seine Hand auf meine und hielt sie fest. Ich fürchtete, er könnte mich wegstoßen, was er auch tat, aber nur, um sich zu mir zu drehen.
Inzwischen war es heller geworden. Lange Zeit betrachtete er nur mein Gesicht, streichelte es von der Schläfe bis zum Kinn, zeichnete mit dem Daumen die Linie meines Halses und Schlüsselbeins nach.
»Mein Gott, ich liebe dich so«, flüsterte er, als spräche er mit sich selbst. Er küßte mich, so daß ich nicht antworten konnte und umfaßte meine Brust mit seiner verletzten Rechten.
»Aber deine Hand...«, protestierte ich zum zweitenmal in dieser Nacht.
»Spielt keine Rolle«, entgegnete er, ebenfalls zum zweitenmal in dieser Nacht.
VIERTER TEIL
Skandal
22
Das königliche Gestüt
Behäbig holperte die Kutsche über einen besonders schlechten Straßenabschnitt, in dem Winterfrost und Frühlingsregen Furchen und Löcher hinterlassen hatten. Es hatte in diesem Jahr viel geregnet; selbst jetzt im Frühsommer sah man noch nasse, sumpfige Stellen unter den üppigen Stachelbeersträuchern am Straßenrand.
Jamie saß neben mir auf der schmalen, gepolsterten Bank, Fergus hatte es sich in der gegenüberliegenden Ecke bequem gemacht und schlief. In der Kutsche war es warm, und immer wenn wir über einen Fleck trockener Erde fuhren, drangen goldene Sonnenstäubchen durch die Fenster.
Wir hatten über die uns umgebende Landschaft geplaudert, über die königlichen Stallungen in Argentan, zu denen wir unterwegs waren, und die Klatschgeschichten ausgetauscht, die täglich bei Hof und in Geschäftskreisen gehandelt wurden. Ich hätte auch schlafen können, eingelullt vom Schaukeln der Kutsche und der Wärme des Tages, aber wegen meiner zunnehmenden Körperfülle war es unbequem, immer in derselben Position zu sitzen, und von dem Geholper tat mir der Rücken weh. Außerdem wurde das Baby allmählich lebhafter; nun spürte ich nicht mehr das zarte Flattern der ersten Bewegungen, sondern leichte Stöße und Knüffe, die auf ihre Art zwar angenehm waren, mich aber nicht zur Ruhe kommen ließen.
»Vielleicht hättest du daheimbleiben sollen, Sassenach«, meinte Jamie stirnrunzelnd, als ich wieder einmal auf der Bank herumrutschte.
»Mir geht’s gut«, sagte ich lächelnd. »Ich bin nur ein bißchen zappelig. Es wäre schade gewesen, das alles zu versäumen.« Ich wies auf das Fenster, durch das die weiten Felder smaragdgrün leuchteten, durchbrochen von dunklen, schlanken Pappeln. Die
frische Landluft war würzig und berauschend nach den abgestandenen, ekelhaften Gerüchen der Stadt und den Ausdünstungen im Hôpital des Anges.
Um die diplomatischen Annäherungsversuche Englands vorsichtig zu ermutigen, hatte sich Louis bereit erklärt, dem Herzog von Sandringham vier Percheron-Zuchtstuten aus dem königlichen Gestüt in Argentan zu verkaufen. Daher war Seine Hoheit heute nach Argentan unterwegs. Er hatte Jamie eingeladen, ihn zu begleiten und bei der Auswahl der Stuten zu beraten. Die Einladung war bei einer Abendgesellschaft erfolgt, und ein Wort hatte das andere gegeben, bis aus dem Besuch ein regelrechter Ausflug ins Grüne wurde, an dem vier Kutschen und mehrere Damen und Herren des Hofes beteiligt waren.
»Das ist ein gutes Zeichen, findest du nicht auch?« fragte ich, während ich mich mit einem vorsichtigen Blick versicherte, daß unsere Begleiter fest schliefen. »Daß Louis dem Herzog gestattet, Pferde zu kaufen, meine ich. Wenn er den Engländern gegenüber Wohlwollen zeigt, dann ist er vermutlich nicht geneigt, James Stuart zu unterstützen - zumindest nicht öffentlich.«
Jamie schüttelte den Kopf. Er weigerte sich strikt, eine Perücke zu tragen, und die kühne, klare Form seines geschorenen Schädels hatte bei Hof kein geringes Erstaunen erregt. Im Augenblick hatte die Frisur jedoch ihre Vorteile; obwohl sein langer
Weitere Kostenlose Bücher