Die Geliehene Zeit
Er sah mich an, und sein Blick ging mir durch und durch.
»Ich bin ehrlich genug zuzugeben, daß es mir ganz egal ist, ob es richtig oder falsch war, solange du nur bei mir bist, Claire«, sagte er leise. »Wenn es eine Sünde war, daß du mich gewählt hast... dann würde ich zum Teufel persönlich gehen und mich bei ihm dafür bedanken, daß er dich dazu verführt hat.« Er hob meinen Fuß hoch und küßte sanft meinen großen Zeh.
Ich legte meine Hand auf seinen Kopf; das kurzgeschorene Haar fühlte sich borstig, aber weich an, wie bei einem kleinen Igel.
»Ich glaube nicht, daß es falsch war«, sagte ich. »Aber wenn es eine Sünde war... dann geh’ ich mit dir zum Teufel, Jamie Fraser.«
Er schloß die Augen und beugte sich über meinen Fuß, den er so fest hielt, daß es weh tat. Dennoch zog ich ihn nicht zurück. Ich vergrub die Finger in seinem Haar und zog sanft daran.
»Warum hast du dann beschlossen, Jonathan Randall leben zu lassen?«
Er lächelte mich an.
»Mir ist alles mögliche durch den Kopf gegangen, Sassenach, als ich an jenem Abend auf und ab marschiert bin. Zum einen dachte ich, daß ich dir Schmerz zufüge, wenn ich den dreckigen Hund umbringe. Ich würde einiges tun oder auch lassen, um dir Leid zu ersparen, Sassenach, aber - wie schwer wiegt dein Gewissen im Vergleich zu meiner Ehre?«
Er schüttelte wieder den Kopf und verwarf auch dieses Argument. »Jeder von uns kann nur für seine eigenen Handlungen und sein eigenes Gewissen die Verantwortung tragen. Was ich tue, kann
man dir nicht zur Last legen, ganz gleich, welche Folgen es hat.« Er zwinkerte, da ihm der staubige Wind Tränen in die Augen trieb, und fuhr sich mit der Hand über die zerzausten Haare, die widerspenstig in alle Richtungen abstanden.
»Warum dann?« fragte ich und beugte mich vor. »Du hast alle Gründe aufgezählt, die dagegen sprachen. Was bleibt da noch?«
Er zögerte kurz, dann antwortete er und sah mir in die Augen.
»Charles Stuart, Sassenach. Bisher haben wir getan, was wir konnten, aber diese Investition, die er getätigt hat - vielleicht gelingt es ihm doch noch, eine Armee nach Schottland zu führen. Und wenn... du weißt besser als ich, was geschehen könnte, Sassenach.«
Das wußte ich, und bei dem Gedanken daran wurde mir kalt. Unwillkürlich kam mir in den Sinn, wie ein Historiker das Schicksal der Hochlandschotten bei der Schlacht von Culloden geschildert hatte - »die Toten lagen in vier Schichten übereinander, durchtränkt vom Regen und ihrem eigenen Blut«.
Die Hochlandschotten, dem Hungertod nahe und schlecht geführt, aber streitbar bis zum Ende, würden niedergemetzelt werden. Man würde sie in Haufen liegenlassen, sie würden im kalten Aprilregen verbluten, und die Sache, der sie seit hundert Jahren treu ergeben waren, würde mit ihnen sterben.
Unvermittelt griff Jamie nach meinen Händen.
»Ich glaube, es wird nicht geschehen, Claire. Ich glaube, wir werden ihn aufhalten. Und wenn nicht, dann rechne ich trotzdem nicht damit, daß mir etwas zustößt. Aber wenn doch...« Er sprach jetzt leise und eindringlich, und es war ihm bitterernst. »Wenn doch, dann möchte ich, daß du ein Zuhause hast. Ich möchte, daß es jemanden gibt, zu dem du gehen kannst, wenn ich... nicht mehr da bin, um für dich zu sorgen. Wenn ich es nicht mehr kann, dann soll es ein Mann tun, der dich liebt.« Er drückte meine Hände, und die beiden Ringe gruben sich tief in mein Fleisch.
»Claire, du weißt, wie schwer es mir gefallen ist, Randalls Leben zu verschonen. Versprich mir, daß du zu Frank zurückkehrst, wenn die Zeit kommen sollte.« Seine Augen, tiefblau wie der Himmel, sahen mich fragend an. »Ich habe schon zweimal versucht, dich zurückzuschicken. Und ich danke Gott, daß du nicht gehen wolltest. Aber wenn es ein drittes Mal soweit kommt - versprich mir, daß du dann zu ihm - zu Frank - zurückgehst. Denn darum habe
ich Jonathan Randall ein Jahr geschenkt - um deinetwillen, versprichst du es mir, Claire?«
»Allez! Allez! Montez! « Der Kutscher spornte das Gespann an, einen Hang zu nehmen. Wir waren fast am Ziel.
»Gut«, erwiderte ich schließlich. »Ich verspreche es.«
Die Ställe von Argentan waren sauber und luftig, vom Duft des Sommers und dem Geruch der Pferde erfüllt. In einem Stall mit offenen Boxen kreiste Jamie, verliebt wie eine Pferdebremse, um eine Percheron-Stute.
»Oh, was für ein hübsches Mädel du bist! Komm her, Süße, laß mal deinen schönen, dicken Hintern
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